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Österreichs Politik geht nicht von einem schnellen Friedensschluss in der Ukraine aus.
Österreichs Politik geht nicht von einem schnellen Friedensschluss in der Ukraine aus. ©REUTERS/Clodagh Kilcoyne (Symbolbild)

Ukraine: Österreichs Politik rechnet nicht mit raschem Friedensschluss

Österreichs Politik rechnet ein Jahr nach Kriegsbeginn nicht mit einem raschen Friedensschluss in der Ukraine, wie eine APA-Umfrage unter den außenpolitischen Sprechern der Nationalratsparteien zeigt.

Die gemeinsame EU-Antwort auf die russische Aggression unterstützen alle Parteien mit Ausnahme der FPÖ, die sich gegen die Russland-Sanktionen positioniert. Beim Thema Neutralität scheren hingegen NEOS aus, die anders als die anderen Parteien kein klares Bekenntnis zu ihr ablegen.

Politik rechnet nicht mit schnellem Friedensschluss in Ukraine

Ausweichend antworteten die Nationalratsabgeordneten auf die Frage, ob eine Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine realistisch sei. Einzig Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) bekannte sich explizit zu dieser Forderung. Reinhold Lopatka (ÖVP) und Helmut Brandstätter (NEOS) äußerten die Erwartung, dass der Krieg "noch lange dauern" werde. "Es wird noch tausende Tote und die Zerstörung von Infrastruktur in Milliardenhöhe geben", so der frühere ÖVP-Staatssekretär.

Während Axel Kassegger (FPÖ) die Hoffnung äußerte, "dass in nicht allzu ferner Zukunft vielmehr über einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen gesprochen wird als über neue Militäroperationen", sprach sich Ernst-Dziedzic für eine fortgesetzte militärische Unterstützung der Ukraine durch ihre Verbündeten aus. Russland werde nämlich "erst dann in seriöse Friedensverhandlungen eintreten, wenn es militärisch nichts mehr zu gewinnen gibt". Brandstätter und SPÖ-Klubchefin Pamela Rendi-Wagner sehen die Entscheidung über die Bedingungen für ein Kriegsende in der Hand Kiews. "Die Entscheidung darüber, welche Bedingung die Ukraine für ein Ende dieses Krieges stellt, liegt in der Verantwortung der Ukraine", sagte SPÖ-Außenpolitiksprecherin.

Hinter Russland-Sanktionen gestellt

ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS stellten sich klar hinter die Russland-Sanktionen. "Die Reaktion war richtig und ist unbedingt notwendig, um die Souveränität der Ukraine wiederherzustellen", betonte Lopatka. "Ich hätte eine schärfere Gangart noch vor der russischen Invasion befürwortet", so Ernst-Dziedzic, die ein Schließen von Schlupflöchern und die Ausweitung von Sanktionen gegen Einzelpersonen forderte. Brandstätter monierte ebenfalls, dass "zu viele Unterstützer der Putin Diktatur (...) noch nicht betroffen" seien. Außerdem seien noch zu viele österreichische Unternehmen in Russland.

Während Rendi-Wagner das Fehlen einer Abfederung der Sanktionsfolgen durch europäische Maßnahmen kritisierte, positionierte sich Kassegger als einziger klar gegen die Sanktionen. Diese hätten nämlich "eine massive Teuerung zum Leidwesen unserer Bürger" verursacht. Österreich hätte seine Neutralität "nicht aufgeben dürfen, dann hätte man als neutraler Staat einen Beitrag zur Konfliktlösung leisten können".

Bekenntnis zur Neutralität

Während Kassegger die Neutralität "wieder herstellen" möchte, legten Rendi-Wagner und Ernst-Dziedzic ein explizites Bekenntnis zu dieser ab. "Österreich ist militärisch neutral und wird es auch bleiben. Sie ist ein wichtiges sicherheitspolitisches Instrument, auch auf Ebene der EU und der internationalen Staatengemeinschaft", betonte die SPÖ-Chefin. "Österreich ist und bleibt militärisch neutral", sagte auch Ernst-Dziedzic. Die Neutralität sei "breiter gesellschaftlicher Konsens".

Lopatka verwies darauf, dass der Krieg in Österreich anders als in Schweden und Finnland nicht zu einer Neutralitätsdebatte geführt habe. "Eine sehr große Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher will an der Neutralität festhalten", betonte der ÖVP-Politiker. Hingegen bekräftigte Brandstätter die im Widerspruch zur Neutralität stehende NEOS-Forderung nach einem gemeinsamen europäischen Heer. Weil Österreich mögliche Raketenangriffe Russlands nicht abwehren könne, müsse es sich an einem europäischen Abwehrschirm beteiligen, forderte Brandstätter "eine ehrliche Debatte über unsere Sicherheit".

Lopatka: "Nicht geglaubt, dass die Ukraine so stark Widerstand leisten kann"

Die Abgeordneten wurden auch dazu befragt, ob sich ihre ursprünglichen Einschätzungen zum Kriegsverlauf bestätigt haben. "Die Brutalität Russlands gegenüber der ukrainischen Zivilbevölkerung habe ich für nicht möglich gehalten, ebenso habe ich nicht geglaubt, dass die Ukraine so stark Widerstand leisten kann", sagte Lopatka. Ernst-Dziedzic zeigte sich ebenfalls "beeindruckt von der Resilienz der ukrainischen Bevölkerung".

Brandstätter äußerte sein Erschrecken über die "Brutalität" der russischen Angriffe. Bei einem Besuch wenige Wochen vor Kriegsausbruch in Kiew sei ihm aber klar geworden, dass das Land für einen Angriff gerüstet sei. "Dem entsprechend dachte ich am 24. Februar nicht an einen schnellen Sieg Putins." Kassegger sagte, dass die Verfestigung eines Stellungskrieges "eine von mehreren denkbaren Entwicklungen" gewesen sei. Rendi-Wagner ging nicht direkt auf die Frage ein. Sie würdigte die rasche und entschlossene Reaktion der EU und meinte weiter: "Die Einschätzung Russlands, dass dieser Krieg nur kurz dauern würde, war falsch."

Es folgen die Fragen und Antworten im Wortlaut:

Situation im Krieg

1. Ist die jetzige Situation im Krieg eine, die Sie am 24. Februar 2022 für möglich gehalten hätten? Wenn ja, wie kamen Sie damals zu dieser Einschätzung? Wenn nein, wie haben Sie sich die Lage im Krieg ein Jahr nach dessen Beginn vorgestellt?

Reinhold Lopatka (ÖVP): Die Brutalität Russlands gegenüber der ukrainischen Zivilbevölkerung habe ich für nicht möglich gehalten, ebenso habe ich nicht geglaubt, dass die Ukraine so stark Widerstand leisten kann.

Pamela Rendi-Wagner (SPÖ): Die EU hat auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine rasch und entschlossen reagiert. Die Verurteilung des Kriegs und die Unterstützung der Ukraine haben relativ rasch deutlich gemacht, dass Russland mit Widerstand rechnen muss. Die Einschätzung Russlands, dass dieser Krieg nur kurz dauern würde, war falsch.

Axel Kassegger (FPÖ): Der Verlauf eines Krieges ist im Voraus in keinem Fall klar absehbar und von zahlreichen Unabwägbarkeiten gekennzeichnet. Dass sich, wie im Fall des Krieges in der Ukraine, ein Stellungskrieg verfestigt, war eine von mehreren denkbaren Entwicklungen.

Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): In Anbetracht der Dimension des russischen Überfalls auf die Ukraine war ich beeindruckt von der Resilienz der ukrainischen Bevölkerung und dass es der Ukraine relativ rasch gelungen ist, dem russischen Vormarsch Einhalt zu gebieten. Positiv stimmt mich, dass Europa sehr schnell und mit - nie dagewesenen Sanktionspaketen - geeint auf die russische Aggression reagiert hat und sich mit Nachdruck für die Achtung des Völkerrechts und der UN-Charta einsetzt.

Helmut Brandstätter (NEOS): Ich war Ende Jänner 2022 in Kyiv. Bei den Gesprächen mit Abgeordneten, Militärs und Vertretern der Wirtschaft wurde mir klar, dass die Ukraine - anders als 2014 - für einen Angriff Russlands gerüstet wäre. Dem entsprechend dachte ich am 24. Februar nicht an einen schnellen Sieg Putins. Erschreckend war für mich aber die Brutalität der Angriffe auf zivile Einrichtungen wie Schulen und Spitäler. Das habe ich im Juni 2022 und im Dezember bei einem Besuch in Kyiv und Charkiv gesehen.

Hilfe für Ukraine und Sanktionen

2. Die EU und Österreich haben mit Sanktionen und massiver Unterstützung der Ukraine auf den Konflikt reagiert. Halten Sie diese Reaktion für richtig und effektiv? Wenn ja, welche der Maßnahmen finden Sie besonders nützlich? Wenn nein, welche Versäumnisse sehen Sie bzw. was hätte anders gemacht werden sollen?

Reinhold Lopatka (ÖVP): Die Reaktion war richtig und ist unbedingt notwendig, um die Souveränität der Ukraine wiederherstellen zu können. Die wichtigsten Entwicklungen dabei sind die wiedererstarkte Achse USA-Europa und die stärkere Fokussierung auf unsere Verteidigungspolitik und deren Finanzierung.

Pamela Rendi-Wagner (SPÖ): Ja. Die EU darf nicht tatenlos zusehen, wenn ein europäisches, souveränes Land angegriffen wird. Was von Anbeginn aber fehlt, ist die Folgen der Sanktionen auch durch europäische Maßnahmen abzufedern.

Axel Kassegger (FPÖ): Nein, Österreich hätte seine verfassungsrechtlich gebotene Neutralität nicht aufgeben dürfen, dann hätte man als neutraler Staat einen Beitrag zur Konfliktlösung leisten können. Die EU-Sanktionsregime verursachen eine massive Teuerung zum Leidwesen unserer Bürger.

Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Die Sanktionen sind unsere zivile Antwort auf einen völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg. Die Sanktionspakete sind notwendig, um Druck auf die russische Führung aufzubauen und die europäischen Volkswirtschaften von der russischen zu entflechten. So kann sich Europa besser gegenüber Erpressungsversuchen behaupten. Ich hätte eine schärfere Gangart noch vor der russischen Invasion befürwortet. Das hätte es Putin erschwert, sich auf die Sanktionen einzustellen. Schlupflöcher gehören geschlossen und Sanktionen gegen Einzelpersonen ausgeweitet.

Helmut Brandstätter (NEOS): Die Sanktionen sind richtig, aber zu viele Unterstützer der Putin Diktatur sind noch nicht betroffen, es sind auch noch zu viele österreichische Unternehmen in Russland. Wichtig ist die Lieferung von medizinischer Ausrüstung und Medikamenten an die Ukraine, das kommt an.

Ukraine: Kontrolle über ganzes Staatsgebiet?

3. Halten Sie es für realistisch, dass die Ukraine die Kontrolle über ihr gesamtes Staatsgebiet wiedererlangt (inklusive der von Russland bereits im Jahr 2014 annektierten Krim)? Wenn ja, was wird es dafür brauchen und wie lange wird es dauern? Wenn nein, welchen Ausgang des Krieges erwarten Sie und wann?

Reinhold Lopatka (ÖVP): Was ich für realistisch halte ist, dass dieser Krieg noch lange dauern wird. Es wird noch tausende Tote und die Zerstörung von Infrastruktur in Milliardenhöhe geben.

Pamela Rendi-Wagner (SPÖ): Die Ukraine wird den Verlust eigenen Territoriums nicht widerstandslos hinnehmen. Das hat das letzte Jahr gezeigt. Die Entscheidung darüber, welche Bedingung die Ukraine für ein Ende dieses Krieges stellt, liegt in der Verantwortung der Ukraine.

Axel Kassegger (FPÖ): Für den Moment zeichnet sich eine Verhärtung des Stellungskrieges ab. Die Hoffnung besteht, dass in nicht zu ferner Zukunft vielmehr über einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen gesprochen wird, als über neue Militäroperationen.

Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Das vorrangige Ziel ist ein Ende des Blutvergießens. Klar ist: Russland wird erst dann in seriöse Friedensverhandlungen eintreten, wenn es militärisch nichts mehr zu gewinnen gibt. Um diesen Zustand herbeizuführen, muss die Ukraine mit Mitteln ausgestattet werden, um sich effektiv selbst verteidigen zu können. Wichtig ist jetzt: die militärische Unterstützung der ukrainischen Verbündeten muss rasch ankommen. Darüber hinaus muss die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt werden.

Helmut Brandstätter (NEOS): Wir müssen jedenfalls akzeptieren, dass das alleine die Ukraine als Opfer des russischen Angriffs entscheiden muss. Schwieriger wurde es durch die "Annexion" mehrerer Oblasten. Ich fürchte, der Krieg wird noch lange dauern, aber wie sagten mir im Dezember mehrere Gesprächspartner: "Wir werden erst recht kämpfen, weil wir wissen jetzt, was es bedeuten würde, in einer Putin-Diktatur zu leben."

Krieg und Österreichs Neutralität

4. Hat der Krieg ein Ende der militärischen Neutralität Österreichs und einen möglichen NATO-Beitritt wahrscheinlicher gemacht? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?

Reinhold Lopatka (ÖVP): Dieser Krieg hat in Österreich im Gegensatz zu Finnland und Schweden zu keiner Neutralitätsdebatte geführt. Eine sehr große Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher will an der Neutralität festhalten.

Pamela Rendi-Wagner (SPÖ): Nein. Österreich ist militärisch neutral und wird es auch bleiben. Sie ist ein wichtiges sicherheitspolitisches Instrument, auch auf Ebene der EU und der internationalen Staatengemeinschaft.

Axel Kassegger (FPÖ): Nicht der Krieg, sondern die Politik der Bundesregierung hat Österreichs Neutralität massiv ausgehöhlt. Diese ist wieder herzustellen. Ein NATO-Beitritt bleibt dennoch unwahrscheinlich, weil eine überwältigende Mehrheit der Österreicher zu Recht dieses Ansinnen ablehnt.

Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Österreich ist und bleibt militärisch neutral. Das ist nicht nur in der Verfassung so verankert, sondern auch breiter gesellschaftlicher Konsens. Solidarität und Zusammenhalt mit unseren europäischen Partnern ist ein Gebot der Stunde. Als neutraler Staat muss sich Österreich besonders gut überlegen, wie ein friedenspolitischer Beitrag innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft geleistet werden kann. Mit Wien als traditionellem Ort der Diplomatie und als Sitz der UN sowie vieler internationaler Organisationen, wie der OSZE, leisten wir einen wichtigen Beitrag.

Helmut Brandstätter (NEOS): Dringender als Spekulationen über die Neutralität ist eine ehrliche Debatte über unsere Sicherheit. Mögliche Raketenangriffe Russlands könnten wir nicht abwehren. Also müssen wir uns an einem Europäischen Abwehrschirm beteiligen. Der Krieg Putins bestätigt eine alte Neos-Forderung: Wir brauchen ein gemeinsames Europäisches Heer, das natürlich ein Berufsheer sein wird.

(APA/Red)

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