Chaos am Flughafen Frankfurt: Personalnot wird noch anhalten

"Das Problem wird nach vorne, obwohl wir einstellen, nicht kleiner werden. Das sage ich sehr offen", sagte Fraport-Chef Stefan Schulte bei einem Pressegespräch am Dienstagabend in Frankfurt.
Lufthansa-Aufsichtsratschef Kley beschwört Zusammenhalt
Lufthansa-Aufsichtsratschef Karl-Ludwig Kley hat angesichts interner Konflikte bei der Airline durch chaotische Zustände im Sommerreiseboom den Zusammenhalt beschworen. "Entweder wir verlieren gemeinsam oder wir gewinnen zusammen", erklärte Kley in einem im Intranet der AUA-Mutter Lufthansa veröffentlichten Interview, das Reuters am Mittwoch vorlag. Die Lage sei äußerst schwierig und extrem angespannt wie noch nie.
"Und das macht auch die Entwirrung der Fäden so schwierig." Doch wenn es nicht gelinge, zusammen mit Flughäfen und Dienstleistern den Betrieb zu stabilisieren und die unter Ausfällen und Verspätungen leidenden Kunden zufriedenzustellen, "können wir uns Gedöns sparen." Den öffentlich gewordenen Brandbrief der Lufthansa-Personalvertretungen, die über drei Seiten dem Vorstand schwere Vorwürfe wegen des Sparkurses in der Corona-Krise machen, erwähnte Kley nicht.
Personalnot am Flughafen Frankfurt bleibt
Die zurzeit massive Störung des Betriebs wegen fehlender Arbeitskräfte werde die nächsten zwei, drei Monate anhalten. Vermutlich müssten nach den Streichungen, die vor allem die Lufthansa als Hauptanbieter in Frankfurt vorgenommen hat, weitere Flüge aus dem Programm genommen werden.
4.000 Beschäftigte abgebaut - 1.000 neue Mitarbeiter eingestellt
Fraport hat nach dem Abbau von rund 4.000 Beschäftigten in der Pandemie schon fast 1.000 neue Mitarbeiter für Bodendienste wieder eingestellt. Selbst wenn einige hundert neue Mitarbeiter oder Aushilfskräfte aus dem Ausland zum Einsatz kämen, bessert sich die Lage Schulte zufolge nicht. Denn wegen der hohen Belastung durch Überstunden, Sonder- und Nachtschichten sei mit einem steigenden Krankenstand im Sommer zu rechnen. Davon abgesehen macht sich die Corona-Infektionswelle bemerkbar. Die Krankenquote bei den Bodenverkehrsdiensten liege derzeit mit 15 Prozent einige Prozentpunkte höher als gewöhnlich. Zugleich liegen die ganz starken Reisemonate mit dem Ferienbeginn in Hessen und Rheinland-Pfalz Ende Juli noch vor dem Frankfurter Flughafen.
Lange Wartezeiten bei der Gepäckausgabe
Dort kommt es vor allem bei der Gepäckausgabe zu Wartezeiten von zwei Stunden mehr. Denn Fraport priorisiere die Abfertigung für abfliegende und umsteigende Passagiere. "Uns ärgert das am meisten selbst", sagte Schulte, der wie andere Vorstandsmitglieder und rund 150 Verwaltungsbeschäftigte von Fraport derzeit bei der Arbeit auf dem Flughafen-Vorfeld mithilft. "Wir entschuldigen uns dafür, weil es für viele Passagiere sehr schwierig zurzeit ist." Es sei aber nun mal schwer, das sehr komplexe arbeitsteilige System Flughafen in so kurzer Zeit wieder hochzufahren.
Großer Andrang hat Flughafenbetreiber überrascht
Die Stärke der Reisenachfrage habe die optimistischen Erwartungen von Fraport und vielen anderen noch übertroffen. Statt der erwarteten 70 bis 75 Prozent des Vorkrisenniveaus seien es derzeit 80 bis 85 Prozent zum Teil. Zu Spitzenzeiten sei der Andrang so hoch wie vor der Pandemie. "Das hat uns schon überrascht. Da gebe ich offen zu, dass wir falsch gelegen haben."
Interessensvertreter des Personals forderte Ende des Sparkurses
Die Interessenvertreter des Personals in Cockpit, Kabine und am Boden forderte in dem Schreiben an den Aufsichtsrat, das Reuters vorlag, ein Ende des Sparkurses und des aus ihrer Sicht herrschenden Missmanagements. Der Aufsichtsrat müsse auf eine konstruktive Personalführung hinwirken, bei der Wertschätzung "nicht in Floskeln endet, sondern auch so gemeint und gelebt wird." Die Geschäftsführung müsse Rahmenbedingungen schaffen, damit alle Mitarbeiter wieder zu maximaler Leistung bereit wären. Die Personalvertreter sehen danach auch den Vorstand als Mitverursacher für das imageschädigende Flugchaos wegen zu harten Personalabbaus. Die Lufthansa wollte zu dem Brief keine Stellung nehmen.
Lufthansa-Chef Spohr verweist auf Probleme der Flughäfen als Ursache
Lufthansa-Chef Carsten Spohr verweist als Ursachen dagegen in erster Linie auf Probleme der Flughäfen und Bodendienste. Er entschuldigte sich kürzlich aber dafür, dass die Lufthansa selbst an der ein oder anderen Stelle zu viel gespart habe. Die Mitarbeitervertretungen zeichnen derweil ein verheerendes Bild der Lage bei der Airline. Fast überall sei nach dem Stellenabbau, zu dem sich die Lufthansa wegen des Geschäftseinbruchs in der Corona-Krise gezwungen sah, zu wenig Personal an Bord für die starke Geschäftserholung in diesem Sommer. Der Ärger über das Management ist dem Schreiben zufolge groß: Seit Jahren sei das Verhältnis des Konzernvorstandes zu seinen Beschäftigten belastet und nach Kündigungsdrohungen nachhaltig beschädigt.
Beschäftige lehnen sich gegen Sparkurs auf
In dem Brief lehnen sich die Repräsentanten der Beschäftigten gegen den Sparkurs auf, den das Management mit Blick auf ein Renditeziel von mindestens acht Prozent bis 2024 verfolgt. Dafür sollen 1,8 Mrd. Euro Personalkosten eingespart werden, wovon ein Großteil schon umgesetzt ist. Personalvertreter und Gewerkschaften sollten "zur Kapitulation gezwungen werden", um die Kosten zu drücken, warfen die Personalvertreter dem Management vor. "Gerade das angeblich viel zu teure Personal hat in der Vergangenheit alle durch den Sparwahn hervorgerufenen Missstände ausgebügelt und vor dem Kunden kaschiert", hieß es in dem Brief weiter. Dazu sei es bei der jetzigen Überlastung nicht mehr in der Lage. "Ein Dienstleistungsunternehmen, welches in dieser Art und Weise gegen das eigene Personal geführt wird, hat keine Zukunft."
Laut Kley ist die Situation für die Mitarbeiter grauenvoll
"Für unsere Mitarbeiter am Boden und in der Luft ist die Situation grauenvoll", erklärte Kley weiter. Ihm seien unerträgliche Berichte der Beschäftigten von Aggressionen und teilweise sogar körperlichen Attacken von Fluggästen, "von Verzweiflung und Tränen, von Hilflosigkeit bei gleichzeitiger Loyalität zu unserer Lufthansa" bekannt. Bei der Personalplanung seien Fehler gemacht worden, räumte auch der oberste Unternehmenskontrolleur ein. Der Aufsichtsrat sei davon überzeugt, die jetzt eingeleiteten Maßnahmen wie Flugstreichungen und zusätzliches Personal wären erfolgreich. Unterschiede in der Sichtweise im Unternehmen hätten über Jahrzehnte ihren Nährboden gefunden. "Sollen wir aber unsere Kraft jetzt da rein setzen, das alles hier und heute aufzuarbeiten? Aus meiner Sicht nein. Jetzt müssen wir erst einmal den Schlamassel in den Griff kriegen."
(APA/Red)