WTO-Mitglieder handelten mehrere Abkommen aus

Sie einigten sich am frühen Freitagmorgen unter anderem auf Vereinbarungen, um die Herstellung von Covid-Impfstoffen in mehr Ländern zu ermöglichen und um Subventionen für illegale und unregulierte Fischerei zu verbieten und damit die überfischten Bestände zu schützen.
Eine geplante Vereinbarung über den Agrarhandel kam dagegen nicht zustande. "Sie reisen nicht mit leeren Händen nach Hause", sagte WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala zum Abschluss der Tagung, die schon am Mittwoch zu Ende gehen sollte. Mangels Einigung hatte die 68-Jährige auf eine Verlängerung gedrängt, weil sie ihre erste Ministertagung nicht als Flop akzeptieren wollte. "Die WTO hat demonstriert, dass sie in der Lage ist, auf die Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren."
WTO-Mitglieder einigten sich auf mehrere Abkommen
Bei der Abschlusssitzung der Regierungsvertreter um 05.00 Uhr in der Früh kam nicht nur langer Applaus auf, als der Konferenzvorsitzende formell feststellte, das alle Mitgliedsländer die Vereinbarungen mittragen. Einstimmigkeit war nötig. In dem vollgepackten Raum kam auch Feierstimmung auf: Ministerinnen und Minister sowie Beamte und Diplomaten stimmten spontan ein nachträgliches Geburtstagsständchen für Okonjo-Iweala und einen weiteren Minister an. Sie war an ihrem eigentlichen Ehrentag, am Montag, nach eigenen Angaben nicht in Feierlaune gewesen, weil sie ein Scheitern der Konferenz fürchtete.
Vertreter der Zivilgesellschaft stimmten nicht in den Applaus ein. "Es ist beschämend, dass die WTO-Mitglieder dem Versuch, eine strauchelnde Institution und obszöne Unternehmensgewinne zu retten, Vorrang gaben vor der Rettung von Menschenleben", meinte Melinda St. Louis von der Organisation Public Citizen. Besonders die EU habe eine von zahlreichen Ländern geforderte Aufhebung von Patentrechten (TRIPS waiver) blockiert. Die getroffene Vereinbarung reiche nicht.
Reformen sollen mit Arbeitsprogramm angeschoben werden
Die Minister einigten sich auch darauf, die WTO-Reformen mit einem Arbeitsprogramm anzuschieben. Der teils brach liegende Streitschlichtungsmechanismus soll in zwei Jahren wieder funktionieren. Sie verlängerten eine Vereinbarung, vorerst keine Zölle im internationalen digitalen Handel zu erheben.
Sie stimmten zudem zu, dass Einkäufe des Welternährungsprogramms (WFP), das Hungernden in aller Welt mit Nahrungsmitteln hilft, nicht durch Ausfuhreinschränkungen behindert werden sollen. Allerdings ließen sie gleichzeitig das Türchen offen, genau dies zu tun, wenn es dazu dient, die eigene Bevölkerung adäquat zu versorgen.
Kaum konkrete Formulierungen zu Abkommen
Die teils wenig konkreten Formulierungen, die viel Spielraum für Interpretationen zulassen, waren ein Zeichen für die oft kniffligen Verhandlungen. Neben den Einzelvereinbarungen gab es eine allgemeine Abschlusserklärung mit diffusen Versprechungen wie diesen: "Wir bekennen uns dazu, auf nötige Reformen in der WTO hinzuarbeiten. (...) Nach unserer Vorstellung sollen die Reformen alle Funktionen verbessern." Sie verstehe bis heute nicht, wie man stundenlang über ein einzelnes Wort in einer Fußnote debattieren könne, sagte Okonjo-Iweala unter dem Gelächter der Ministerinnen und Minister.
Organisationen kritisieren neue WTO-Abkommen
Umwelt- und Entwicklungsorganisationen haben das neue Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) kritisiert - zu wenig Klimaschutz und offene Fragen betreffend Welternährung. "Alle strittigen Themen wie Landwirtschaft, Fischerei, E-Commerce und TRIPS haben Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Aber Klimaschutz und die Erhaltung der Artenvielfalt tauchten in den Verhandlungen so gut wie gar nicht auf", sagte der deutsche Greenpeace-Experte Jürgen Knirsch am Freitag.
Auch gesundheitliche Themen kamen aus Sicht von Nelly Grotefendt, Referentin für Handelspolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung, zu kurz. Gerade für den Bereich globale Gesundheit in Zeiten einer Pandemie sei das Ergebnis besonders ernüchternd. "Ich hatte sehr gehofft, dass die Länder sich zu einem Präzedenzfall durchringen können, der weitreichend ist. Bei der nächsten Pandemie werden wir immer noch den gleichen Prozess durchlaufen müssen, und das wird viel Zeit kosten."
Kritik auch aus Österreich
Das eingeschränkte Aussetzen von Covid-Patenten, um die Produktion von Impfstoffen in mehr Ländern zu ermöglichen, sorgte auch in Österreich für Kritik - wenn auch aus zwei entgegengesetzten Richtungen. "Der EU und den reichen Industriestaaten ist es gelungen, die Profitinteressen ihrer Pharmakonzerne durchzusetzen und eine Lösung im Interesse der öffentlichen Gesundheit zu verhindern", kritisiert Iris Frey von Attac Österreich per Aussendung. So gelte die Freigabe nur für Patente auf Covid-Impfstoffe, nicht aber für alle entsprechenden geistigen Eigentumsrechte sowie Medikamente, Diagnostika und Medizinprodukte.
Zu weit geht der WTO-Beschluss dagegen dem Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO), der dadurch eine nachhaltige Beschädigung der Pharmaforschung befürchtet. "Gerade die Aussicht, ein innovatives Produkt eine gewisse Zeit lang vor Nachahmung schützen zu können, hat in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass hunderte Medikamente und Therapien für bis dahin schwer oder nicht behandelbare Krankheiten entwickelt wurden", schreibt der Verband. Zudem würden derzeit weltweit mehr Corona-Vakzine produziert als nachgefragt, so der FCIO.
Die Organisation Brot für die Welt kritisierte das Abkommen mit Blick auf die Welternährung. Es gebe keine konkreten Vorschläge, wie Entwicklungsländer unabhängiger von Nahrungsimporten werden. "Im Mittelpunkt der Erklärung zur Ernährungssicherheit steht wieder mal der altbekannte Aufruf zur Vermeidung von Exportrestriktionen", sagte Francisco Mari, Agrarhandelsexperte der Organisation. Dies sei der stetige Ruf der großen Agrarexporteure, Märkte offen zu halten. "Nur kurz wird erwähnt, dass es für Regierungen auch Sinn machen könnte zu verhindern, dass Nahrung von Händlern exportiert wird, um auf dem Weltmarkt große Gewinne zu machen." Immerhin würden die Staaten aufgefordert, das Welternährungsprogramm zu unterstützen.
(APA/Red)