Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfing Erdogan in Berlin vor seinem Amtssitz, dem Schloss Bellevue. Nach diesem Treffen stand ein Mittagessen Erdogans mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Programm.
Merkel kündigte auch an, mit Erdogan Kritisches besprechen zu wollen. Merkel empfing den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Kanzleramt in Berlin. Nach einem rund einstündigen Gespräch fand eine gemeinsame Pressekonferenz statt. Dabei äußerte Merkel Kritik an der Lage in der Türkei.
“Tiefgreifende Differenzen”
Es gebe weiterhin “tiefgreifende Differenzen”, sagte die CDU-Politikerin bei der Pressekonferenz. Sie nannte die Lage der Pressefreiheit und der Menschenrechte. Merkel mahnte zu einer raschen Lösung für die in der Türkei inhaftierten deutschen Staatsbürger. “Ich habe darauf gedrängt, dass auch diese Fälle möglichst schnell gelöst werden können”, sagte sie.
Merkel betonte aber auch gemeinsame Interessen mit der Türkei. “Wir haben vieles, was uns eint”, sagte sie. Die Regierungschefin nannte die Partnerschaft in der NATO, Fragen der Migration und den Kampf gegen Terrorismus. Laut Merkel ist ein Treffen zu Syrien mit ihr, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Russlands Staatschef Wladimir Putin und Erdogan in Vorbereitung. Bei dem Treffen im Oktober solle die kritische Situation um die letzte Rebellenhochburg Idlib im Mittelpunkt stehen.
Erdogan fordert Auslieferung von Dündar
Erdogan forderte von Deutschland einen entschlosseneren Kampf gegen den Terrorismus. Darüber habe er auch mit Merkel gesprochen, sagte Erdogan am Freitag auf der gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin. Er äußerte aber zugleich seine Zufriedenheit über die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus.
In Deutschland hielten sich “Tausende Mitglieder der PKK-Terrororganisation” auf, sagte Erdogan. Zudem seien “Hunderte” Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland.
Bereits vor dem Besuch hatte die türkische Regierung nach Medienberichten die Auslieferung von in der Türkei unter Terrorverdacht Gesuchten gefordert. Auch der wegen Verrats verurteilte Journalist Can Dündar ist auf der Liste.
Er lebt im Exil in Deutschland und hatte seine Teilnahme an der Pressekonferenz kurzfristig abgesagt. Erdogan bestätigte, dass sein Land offiziell ein Auslieferungsersuchen für Dündar gestellt hat. Dündar sei “ein Spion, der Staatsgeheimnisse veröffentlicht hat”, sagte er. Daher müsse der ehemalige Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung “Cumhuriyet” an die Türkei ausgeliefert werden.
ROG drängt auf Pressefreiheit
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) hatte Merkel und Bundespräsident Steinmeier dazu aufgefordert, bei ihren Gesprächen mit Erdogan auf Pressefreiheit in der Türkei zu drängen. Sie müssten bei dem Staatsbesuch Erdogans “die prekären Arbeitsbedingungen für Medien in der Türkei mit Nachdruck anprangern”, sagte ROG-Chef Christian Mihr bei einer Kundgebung für in der Türkei inhaftierte Journalisten am Freitag in Berlin. Er forderte Merkel und Steinmeier zudem dazu auf, sich auch öffentlich und nicht nur hinter den Kulissen für Journalisten im Gefängnis einzusetzen. “Eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei darf es nicht geben, solange die beispiellose Unterdrückung der Pressefreiheit in der Türkei anhält”, mahnte Mihr bei der Kundgebung am Berliner Hauptbahnhof, an der laut ROG mehr als hundert Menschen teilnahmen.
Der Staatsbesuch Erdogans und das für den Abend im Schloss Bellevue vorgesehene Staatsbankett für den türkischen Präsidenten sorgen wegen der Repressionen gegen Andersdenkende in der Türkei für heftige Kritik und Proteste. Am Nachmittag ist auf dem Potsdamer Platz in Berlin eine Großdemonstration “Erdogan not welcome” geplant, zu der die Veranstalter rund 10.000 Teilnehmer erwarten.
Brennende Autoreifen und Mülltonnen
Nach der Ankunft Erdogans in Berlin am Donnerstag brannten in der Nacht auf Freitag in mehreren Bezirken der deutschen Hauptstadt Autoreifen und Mülltonnen. Ob es einen Zusammenhang mit dem Besuch gab, war laut Polizei noch unklar. Im Stadtviertel Kreuzberg fand am Donnerstagabend eine unangemeldete Demonstration von 100 bis 150 Erdogan-Gegnern statt.
Im Regierungsviertel und besonders um das Hotel Adlon am Brandenburger Tor, wo Erdogan wohnt, gab es weiter strenge Sicherheitsvorkehrungen der Stufe eins. Bis zu 4.200 Polizisten waren im Einsatz. Der Bereich war komplett gesperrt. Auf dem Adlon waren Scharfschützen postiert. Der Luftraum über Berlin war für private Sportflugzeuge sowie für Drohnen bis Samstagmittag gesperrt.
Mann bei Pressekonferenz abgeführt
Bei dem Mann, der abgeführt wurde, handelte es sich um den Journalisten Ertugrul Yigit, der ein T-Shirt mit der Aufschrift “Gazetecilere Özgürlük – Freiheit für Journalisten in der Türkei” trug. Er wurde vor laufenden Kameras von Sicherheitsleuten abgeführt.
Berlin. “Ich habe nichts getan”, rief der Mann, der eine Akkreditierung für die Pressekonferenz trug. Augenzeugen sagten, er habe vor dem Einsatz noch ruhig fotografiert.
(APA/dpa)