Rechtsparteien im Aufwind - "Was für ein Europa wollen wir?"

Für die deutsche Politikwissenschaftlerin Tanja Börzel ist der deutliche Erfolg des freiheitlichen Kandidaten “weniger überraschend” als die große Niederlage der beiden Volksparteien SPÖ und ÖVP. Ein Novum sei aber, dass “in einer nationalen Wahl eine Konfliktlinie in der ersten Runde wahlentscheidend war, bei der es nicht mehr um rechts gegen links geht, sondern um weltoffen, liberal gegen fremdenfeindlich, nationalistisch”, konstatierte die Expertin der Freien Universität Berlin in einem APA-Interview.
Grundlegende Frage “Was für ein Europa wollen wir?”
Denn die Ursache für den Aufwind populistischer Parteien in Europa liege nicht wie gerne von den Volksparteien kolportiert primär an der Flüchtlingskrise, sondern viel mehr an der grundlegenden Frage “Was für ein Europa wollen wir?”, konstatierte die Politologin. Die Parteien müssten sich intern auf eine Position einigen, sonst würden Populisten noch mehr Zuspruch erfahren, erklärte Börzel im Hinblick auf den schwelenden Konflikt zwischen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihren Parteikollegen aus der CSU.
Aber diese Entwicklung sei schon seit mehreren Jahren in Europa zu beobachten, fügte Börzel hinzu. Grund dafür sei die zunehmende soziale Ungleichheit in der Gesellschaft, “in manchen Ländern mehr, in manchen Ländern weniger”. Und “Österreich gehört zu den Ländern, die die neue soziale Frage bisher offensichtlich ignoriert haben”, sagte die deutsche Politologin. Das hatte zur Folge, dass sich “jene, die sich als Verlierer der Globalisierung fühlen”, an rechtspopulistische Kräfte wie die FPÖ wandten.
Erfolg Hofers als “Weckruf”
Direkte Auswirkungen auf Europa wird der erste Erfolg Hofers laut Börzel aber nicht haben, vielmehr ist es als “Weckruf” zu deuten. Ähnlich äußerte sich der Politikwissenschaftler Martin Dolezal. Der deutliche Erfolg Hofers sei für Europas Rechtspopulisten “ein symbolischer großer Triumph, wenn auch noch kein realer”, sagte Dolezal im APA-Gespräch. Die FPÖ gehöre unter ihresgleichen in Europa “sicher zu den stärksten”. Als eine der wenigen rechtspopulistischen Parteien können die Freiheitlichen auch Regierungserfahrung vorweisen, auch wenn es seitdem einen “personellen Bruch” gegeben habe.
Den Vergleich mit ähnlichen Entwicklungen in osteuropäischen Staaten wie Ungarn oder Polen findet Dolezal aber unpassend. “Auch wenn die Themen keine anderen sind, ist der Kontext ein anderer”, analysiert der Politikwissenschaftler der Universität Wien. “Relevantere Bezugspunkte” seien vielmehr die rechtspopulistischen Parteien wie die Front National (FN) in Frankreich, der Vlaams Belang in Belgien oder die Alternative für Deutschland (AfD) in Deutschland.
“Zum Systembruch würde es nicht kommen”
Als wesentlichen Unterschied zu osteuropäischen EU-Staaten sieht Dolezal, dass die “demokratischen Institutionen in Österreich und die demokratische politische Kultur doch gefestigter sind, und auch solche Wahlergebnisse gewissermaßen verkraften werden”. Zwar würde ein Sieg Hofers einen “markanten Unterschied” bringen, aber zu einem “Systembruch würde es nicht kommen”.
Auch die deutsche Expertin Börzel gab sich auf die Frage zu einem möglichen freiheitlichen Präsidenten in Österreich optimistisch. “Wir haben auch Haider überlebt, und da haben auch alle gedacht wir gehen unter, und der war an der Regierung”, sagte die Professorin. Zudem seien für sie die Unterschiede zwischen dem früheren Bundespräsidenten Kurt Waldheim und Hofer “nicht trennscharf zu erkennen”.
(APA)