Die Türkei hatte beim EU-Gipfel Anfang der Woche überraschend angeboten, alle neu ankommenden Flüchtlinge aus Griechenland zurückzunehmen. Für jeden zurückgebrachten Syrer soll die EU einen Syrer auf legalem Weg aufnehmen. Im Gegenzug will Ankara den Fall des Visa-Zwangs ab Juni, die Ausweitung der EU-Beitrittsgespräche auf fünf weitere Bereiche sowie die Verdoppelung der Hilfen für syrische Flüchtlinge in der Türkei auf sechs Milliarden Euro.
Die beim nächsten EU-Gipfel in der kommenden Woche angestrebte Vereinbarung sei “höchst problematisch”, sagte der Liberale Guy Verhofstadt. Europa wolle damit seine “Probleme outsourcen” und gebe dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan “die Eingangsschlüssel für die Tore Europas in die Hand”. “Das ist so, als würden die USA Mexiko sagen: Ihr verwaltet in Zukunft die Grenze.”
Auch der Chef der größten Fraktion im EU-Parlament, der EVP-Vorsitzende Manfred Weber, äußerte Bedenken. “Die EVP ist bereit, über Visa-Liberalisierungen (für die Türkei) zu reden, aber ich kann nicht verhehlen, dass es viele Sorgen gibt.” Weber forderte die Staats- und Regierungschefs der EU auf, sich aus den Details der Visabefreiung für türkische Bürger in der EU herauszuhalten. Dies sei Aufgabe des EU-Parlaments und des EU-Ministerrates. Beide EU-Organe müssen der für Juni geplanten Befreiung zustimmen. “Aus unserer Sicht gibt es keinen Blanko-Scheck”, sagte Weber.
Auch Grüne und Linke kritisierten die geplanten Vereinbarungen mit der Türkei, die Ende kommender Woche beim EU-Gipfel festgezurrt werden sollen. “Wir schließen einen Deal mit einem Land, das bereit ist, Menschen im eigenen Land zu töten”, sagte Linken-Fraktionschefin Gabi Zimmer mit Blick auf das Vorgehen der türkischen Armee gegen kurdische Rebellen. Sie fühle sich bei EU-Verhandlungen mit der Regierung in Ankara an einen Ablasshandel erinnert.
Es dürfe “keinen Kuhhandel zum Schicksal von Flüchtlingen” geben, sagte auch der Fraktionsvorsitzende der Sozialisten, Gianni Pittella. Die Beitrittsgespräche mit einem Dialog in der Flüchtlingskrise zu vermischen, sei der falsche Ansatz. Pittella forderte, es dürfe auch Griechenland nicht vergessen werden. Das Land drohe “ein Käfig für Flüchtlinge zu werden, in dem es einen Eingang, aber keinen Ausgang gibt”.