4. Juli 2014 TAG 17
Strecke: Martigny – Martigny Croix – Sembrancher – Orsières – Liddes
Streckenlänge: 29,9 Kilometer Gehzeit: 7h27min
Aufstieg: 1.328 m Abstieg: 466 m
Meine Frage des Tages lautete heute so: Wie weit kann ich gehen, ohne dass ich nass werde?
Ich startete meine heutige Etappe um 05:30 Uhr. Es ging auf einer Straße leicht bergauf nach Martigny Croix. Dort angekommen, verließ ich die Straße. Es ging weiter auf einem Fitnessparcours. Ich marschierte durch einen Wald, allerdings ließ ich die Fitness-Übungen links liegen. Der weitere Weg nach Sembrancher gehörte für mich zu einem ganz besonderen Teil des Weges. Es ging immer auf schmalen Pfaden auf und ab, über Stock und Stein. Und das mit dem Stein stimmt: Es gab eine etwas längere Passage, wo ich über eine Felsenlandschaft marschierte – Wunderschön, aber doch sehr anstrengend zu gehen. Jeder Schritt muss sitzen, man kann sehr leicht umknicken. Es ging die ganze Zeit rauf und runter. Meine Stöcke verrichteten einen sehr wertvollen Dienst. Der Weg in diesen Ort muss aber auch zum Teil neu angelegt worden sein – ich denke auch als Sicherheitsmaßnahme. Laut meinem Buch wäre es nämlich noch weiter hinauf gegangen in felsigeres Gelände. Kurz vor dem Ortseingang sah ich auf einem Felsgrad eine Gemse. Ich beobachtete das Tier für einige Minuten, dann ging ich in den Ort hinein. Auf dem Kirchplatz machte ich meine erste Pause. Anschließend ging es weiter in Richtung Orsières. Der Weg war nun ganz anders, es ging über Feldwege, zumeist bergauf, aber immer sanft und stetig. Es ging vorbei an wunderschönen Blumenwiesen. Die Berge im Hintergrund waren schon zum Teil von Wolken bedeckt. Der Wind wurde immer stärker. Gegen 11:00 Uhr erreichte ich Orsières. Ich setzte mich in ein kleines Restaurant und bestellte etwas zu trinken. Für mich war die Frage, was tun? Heute hier die Etappe beenden? Es sah sehr stark nach Regen aus und auch der Wetterbericht sagte starke Unwetter voraus. Ich fragte die Kellnerin, wie sie die Situation einschätze? Leider sprach Sie kein Englisch, und mein Französisch ist auch nicht besser. So beschloss ich meine Etappe hier zu beenden. Ich schrieb Antonia eine kurze SMS, damit sie Bescheid wusste. Ich werde sie wahrscheinlich später in Aosta eintreffen. Es vergingen ungefähr 5 Minuten, da kam die Chefin des Hauses zu mir. Sie sprach mich in perfektem Englisch an. Sie sagte mir, dass der Regen kommen wird. Sie glaubte aber, dass durch den starken Wind es aber erst später regnen werde. Sie rief für mich die einzige Unterkunft in Liddes an, reservierte mir ein Zimmer und erkundigte sich auch nach dem aktuellem Wetter vor Ort.
Keine 10 Minuten später, war mein Rucksack wieder geschultert, und es ging weiter für mich. Ich wanderte eine Forststraße immer bergauf. Es ging an wunderschönen alten Häuser vorbei. Einmal überholte mich ein Lieferwagen. Der Fahrer blieb auf gleicher Höhe stehen und fragte mich, ob er mich mitnehmen könnte. Ich verneinte natürlich. So erreichte ich Liddes zu Fuß gegen 14:00 Uhr. Auch um 16:45 Uhr regnete es noch nicht. Morgen geht es rauf auf den Pass. Es fehlen mir noch gut 20 Kilometer und 1.200 Höhenmeter. Ich werde heute wieder einmal früh schlafen gehen.




05. Juli 2014 TAG 18
Strecke: Liddes – Bourg Saint Piere – Großer Sankt Berhard – Saint Rhémy en -Bosses
Streckenlänge: 26,8 Kilometer Gehzeit: 8h38min
Aufstieg: 1.341 m Abstieg: 1.065 m
Was war das für ein genialer Tag. Ich wachte zwar um 01:20 Uhr in der Früh auf. Mein linker Hallux raubte mir den Schlaf. Ich habe dieses Problem mit der großen Zehe immer mal wieder. Zum Glück hilft mir da Voltaren. Um 05:00 Uhr war Tagwache. Ich schaute aus dem Fenster, der Himmel war stärker bewölkt, aber kein Regen. So startete ich um 05:32 Uhr meinen heutigen Weg. Es nieselte ganz leicht, ich war zufrieden. Der Weg in Richtung Bourg Saint Piere war sehr angenehm. Es ging auf Wald- und Wiesenboden immer bergauf – es war sehr schön zu gehen. Ein Blick zurück motivierte mich noch mehr. In Orsières hingen die Wolken noch tief, wahrscheinlich regnete es dort. In Bourg Saint Piere angekommen, ging ich in das örtliche Kaffeehaus um mir einen Espresso zu genehmigen. Ich wurde von einem anderen Gast auf Französisch angesprochen. Keine Minute später sprachen wir auf Deutsch weiter. Gunter, so hieß mein gegenüber. Er kommt aus Erfurt, und pilgert von Lausanne aus nach Rom. Wir tauschten unsere bisherigen Erlebnisse aus. Auch er machte wie ich den gleichen Fehler nach Aigle. Er verlief sich genau so wie ich. Hier ist wirklich der Weg falsch markiert. Nach unserem Gespräch ging Gunter seinen Rucksack richten, er hatte hier übernachtet. Ich denke, wir werden uns heute sicher noch wieder treffen. Auch ich verließ das Kaffeehaus und machte mich wieder auf den Weg. Es ging weiter bergauf in Richtung einer Staumauer. Der Weg war einfach nur genial. Es ging an den schönsten Blumenwiesen vorbei. Die Murmeltiere sonnten sich in der Morgensonne. Ich brauchte viel Zeit, ich kam kaum vorwärts. Immer wieder blieb ich stehen, um diese Tiere zu beobachten. Kurz darauf holte mich Gunter ein. Den restlichen Weg zum Pass hinauf gingen wir mehr oder weniger zusammen. Wir mussten den ganzen Weg hinauf fast immer nur Grinsen. Eine Stelle war schöner als die Andere. Wir genossen es aus vollen Zügen. Es ging immer entlang von kleinen Bächen, die Schneeschmelze ist immer noch nicht abgeschlossen. Wir durften auch noch etliche Schneefelder überqueren. Bemerkenswert war auch die Alpenflora, so bunt, so vielfältig, einfach traumhaft. Wir waren immer in Sichtweite zur Passstraße, wo sich die Autos hinaufdrängelten. Wir sahen auch zwei andere Pilger, die die Passstraße bevorzugten. Jedem sein Weg – aber verstehen konnten wir es trotzdem nicht. Bei einer Schutzhütte, kurz vor dem Pass, machten wir eine Mittagspause. Hier wurden wir von einem Einheimischen angesprochen. Er erzählte uns, dass er ganz aufgeregt sei. Er ist Schatzsucher, und war heute erfolgreich. Diese Route, die Gunter und ich heute gingen, war immer schon ein Pilgerweg. Er zeigte uns 3 Goldmünzen aus dem Jahre 1812. Wir verstanden seine Freude. Gestärkt für den letzten Aufstieg zogen wir weiter. Oben am Pass angekommen, machten wir natürlich eine kleine Fotosession. Gunter begleitete mich noch bis zum Denkmal des Heiligen Sankt Bernhard – Italienisches Staatsgebiet. Gunter schläft heute hier am Pass. Ich entschloss mich, noch weiter zu gehen. Ich will den Abstieg in 2 Teilen machen. Der Weg hinunter nach Saint Rhémy en-Bosses war ebenfalls nur traumhaft. Auch hier sonnten sich die Murmeltiere. Der Himmel war blau, die weißen Wolken verzauberten einfach alles. Ich benötigte für diesen Abschnitt statt 2 Stunden 3,5 Stunden. Immer wieder blieb ich stehen und sog alles auf. Glücklich und total zufrieden erreichte ich mein heutiges Etappenziel. Ich hätte es nicht besser treffen können. Saint Rhémy en-Bosses ist ein wundervolles Dorf mit alten Steinhäusern.
Abschließend möchte ich noch sagen, dass meine Pilgerzeit in der Schweiz einmalig war. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt. Die Schweizer haben ein offenes Herz für uns Pilger. Ich bin nun gespannt auf Italien.



06. Juli 2014 TAG 19
Strecke: Saint Rhémy en-Bosses – Saint Léonard – Saint Oyen – Etroubles – Gignod – Aosta
Streckenlänge: 26,1 Kilometer Gehzeit: 5h51min
Aufstieg: 143 m Abstieg: 1.137 m



