Ankläger Gerrie Nel will nun Pistorius’ Psyche untersuchen lassen. Nach Einschätzung Vorsters begann die Störung, als Pistorius’ Eltern ihn dazu ermutigten, sich trotz seiner Behinderung als völlig “normal” anzusehen und zu verhalten. Langfristig könne dies zu beständiger Unruhe und Ängstlichkeit geführt haben, sagte die Gerichtspsychiaterin, die nach eigenen Angaben für ihr Gutachten auch mit engen Freunden und Familienangehörigen des Angeklagten sprach.
Die Alkoholabhängigkeit der Mutter und ihre Angewohnheit, stets mit einer Waffe unter dem Kopfkissen zu schlafen, könne diese Ängste weiter verschärft haben, sagte die Gerichtspsychiaterin: “Die Kinder wuchsen mit dem Konzept auf, dass die Außenwelt bedrohlich ist”. Mit dem frühen Tod der Mutter habe Pistorius dann sein einziges erwachsenes Vorbild verloren.
Von seinem Vater, der damals längst von seiner Frau getrennt war, habe er sich endgültig mit 21 Jahren losgesagt. Dank seiner vielversprechenden Sprintkarriere sei Pistorius schon damals finanziell unabhängig gewesen. Kurz darauf habe er sich auch seine erste Waffe zugelegt. “Menschen mit Angststörungen arbeiten hart daran, ihre Umwelt unter Kontrolle zu haben”. Das harte Training könne ihm geholfen haben, seine Ängste zu mildern. Während der Aussage der Psychiaterin lief Pistorius rot an, seine Schwester Aimee wirkte wie versteinert.
Pistorius muss sich seit Anfang März wegen Mordes vor Gericht verantworten. Er hatte in der Nacht zum Valentinstag vergangenen Jahres seine Freundin Reeva Steenkamp durch die geschlossene Toilettentür seines Hauses erschossen. Pistorius beteuert, sie für einen Einbrecher gehalten zu haben. Die Staatsanwaltschaft geht hingegen davon aus, dass er das Model nach einem Streit getötet hatte.
Die Aussage der Psychologin soll Angaben der Verteidigung untermauern, dass sich Pistorius während der Tat extrem verletzlich und panisch fühlte. Sollte er tatsächlich einen Einbrecher befürchtet haben, könnte eine Angststörung in der Tat seine Reaktion beeinflusst haben, sagte Vorster vor Gericht. Schon vorher hatte Verteidiger Barry Roux den Athleten wiederholt als fast schon manischen Sicherheitsfanatiker porträtiert.
Nach hitzigen Wortgefechten mit Roux und Vorster schlug Staatsanwalt Nel nun vor, Pistorius einen Monat lang in einer Facheinrichtung testen zu lassen. Das Gericht vertagte sich, damit die Anklage das Gutachten genauer studieren kann. Am Dienstag wird Nel dann möglicherweise einen formellen Antrag auf psychologische Tests stellen.
Nel hatter zuvor die Kompetenz und die Neutralität des Ballistik-Experten Thomas Wolmarans angezweifelt. Dieser hatte die mögliche Bahn des Geschosses berechnet. Wolmarans musste im Kreuzverhör am Montag vor dem Gericht Pretoria zugeben, dass er manche Tests am Tatort erst vor wenigen Wochen auf Wunsch der Verteidigung gemacht habe. Zudem habe er sich mit anderen Experten der Verteidigung vor seiner Vernehmung über die Aspekte der Tat unterhalten.