Versammelt in meinem Namen

Mit einem Architekturwettbewerb kam 2008 der befreiende Entwurf, der den Innenraum der Lingenauer Pfarrkirche neu ordnete. Es begann ein sorgsamer Dialog zwischen den Architekten und der Pfarrgemeinde: in Ausschüssen, in öff entlichen Präsentationen, in Baustellenführungen und im Alltag, den sie mit ihnen teilten, denn die beiden Planer hatten ihr Büro für die Bauzeit von Februar bis November nach Lingenau verlegt. Es hat viele Menschen beeindruckt, dass ihre Welt hier so ernst genommen wurde. Der neue Raum wurde zu etwas Gemeinsamen und auf alle Erfordernisse funktionell ausgerichtet, sodass er nicht nur für den großen Sonntagsgottesdienst, sondern auch für kleinere Feiern, Andachten oder das individuelle Gebet gestaltet werden kann. Aus der Anteilnahme des ganzen Dorfes kam auch die Bereitschaft zur Eigenleistung. Materialien wurden bereitgestellt, wie etwa Steine für den Altar, aber auch Arbeitszeit und handwerkliche Fertigkeiten waren reichlich vorhanden; beim Abschleifen der vorhandenen Kirchenbänke, oder bei vielen Besonderheiten, wo die Grenzen zwischen den Gewerken verschwanden. So etwa beim neuen Kreuzweg, einer Folge von Segeln aus Seidenstoff mit eingefi lzten römischen Ziff ern, die an zarten Stahlstäben abgehängt wurden. „Da haben einfach alle mitgeholfen“, so Architekt Ernst Beneder.
Man ist überrascht und berührt von der plastischen und physisch erlebbaren Präsenz seiner Elemente. Der historische Kirchenraum wurde in ein reines Weiß getaucht und wirkt durch seine Proportionen und der bergenden Kraft seiner Gewölbebögen als ruhiger Hintergrund. Nichts lenkt ab von der gemeinsamen Feier. Der Altarraum wurde aus dem Chor in das Langhaus gerückt und breitet sich als neue Mitte und als liturgische Landschaft aus. Die Architekten haben sich dabei nicht auf abstrakte Bilder und Symbole zurückgezogen, sondern mit künstlerischem Feingefühl aus Naturstein, Licht, Wasser, Stoff en und Holz eine räumliche Erzählung geschaff en, die um den Altar führt. Ausgangs- und Endpunkt sind zwei bestehende Glasfenster am Ende der Apsis mit den Lettern Alpha und Omega – Anfang und Ende.
Vor einem Olivenbaum steht der Taufbrunnen, von dem das Wasser über fünf Stufen als biblischer Fluß Jordan herabfließen kann. Ein schwarzes Steinband führt ihn am erhöhten Altarfeld entlang. Dem folgt der Ambo, zusammengefügt aus vier Steinen, an dem gepredigt, gelesen und das Evangelium verkündet wird. Zentral steht der Altar im Zentrum. Durch seine quadratische Form dient er nach mehreren Richtungen: Seitlich zu den Bänken für kleinere Feiern oder rückwärts zum Chorraum, der als Kapelle genutzt wird. Der neue Kreuzweg führt schließlich den Weg zurück. Eine Folge von Seidentüchern mit eingefilzten römischen Ziffern erhebt sich wie ein luftiger, geistiger Raum. Am Boden werden sie von steinernen Bändern begleitet, in denen die Stationen des Kreuzwegs eingemeißelt sind. Die zwölfte Station wird ersetzt durch ein lebensgroßes, barockes Kruzifix. Der Tabernakel mit dem ewigen Licht schließt diese fast künstlerische und didaktische Inszenierung, die bereits im ersten Jahr über 1000 Besuchern bei Führungen erläutert werden konnte. In den Worten des Pfarrers Manfred Fink ist die Begeisterung zu spüren, wenn er die Ordnung und Bedeutung der einzelnen liturgischen Elemente erklärt. Die Unmittelbarkeit der Materialien und Objekte spricht die Menschen an. Sie erzählt und berührt und verleiht dieser sensiblen Installation auf diese Weise etwas verblüff end Volksnahes. Nicht vereinfacht, sondern umfassend wird diese biblische Topografi e erlebbar.
Das sensible Lichtkonzept nutzt die farbige Energie der vorhandenen Glasfenster von Konrad Honold aus 1965, die den Raum je nach Licht und Wetter mit Farbe wundersam verzaubern. Strahler erleuchten die Decke hell und kleine Spots geben dem Raum eine intime, gefasste Atmosphäre. Beim abendlichen Rosenkranz verschwindet dann der Raum in weicher Dämmerung und die Elemente des Altarfelds treten wie eine vertraute Landschaft sanft hervor.
DATEN & FAKTEN
Pfarrkirche Lingenau
Bauherr: Römisch-katholische Pfarrkirche Lingenau
Architekten: Ernst Beneder und Anja Fischer, Wollzeile 19, 1010 Wien; Mail: architekten@benederfischer.at
Statik: BHM Ingenieure, Feldkirch
Planungsdaten: Planungsbeginn: 10/2008
Baubeginn: 2/2010
Fertigstellung: 11/2010
Objektdaten: Nutzfläche Fläche 667 m²
Umbauter Raum: 6360 m3
Ausführung:
Fassaden: Wilhelm + Mayer Bau GmbH, Götzis
Dach: Dachdeckerei Manfred Baldauf, Doren
Mauerwerk: Rhomberg Bau, Bregenz
Fenster/Türen: Tischlerei Düringer, Schwarzenberg
Elektroinstallationen: Fink Elektrotechnik, Riefensberg
Heizung/Lüftung/Klima/Sanitär: Bereuter Christoph GmbH, Sibratsgfäll
Akustikanlage: Gallus Media AG, St. Gallen
Natursteinarbeiten: Wehinger Naturstein- & Kunststeinwerk, Röthis
Möbel: Jodo Tischlerei Gebr. Dorner GmbH, Lingenau, Tischlerei Raffl , Krumbach
Schlosserarbeiten: Simeoni Metallbau, Andelsbuch
Restaurierung/Kirchenfenster: Sanktmauritius-Glas, Atelier & Restaurierungswerkstätte, Afritz am See
Textilarbeiten: Textilwerkstatt Krumbach Martha Niederacher.
(Autor: Robert Fabach)
Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Die Plattform für Architektur, Raum und Formgestaltung
in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen
bietet das vai monatlich öff entliche Führungen zu privaten,
kommunalen und gewerblichen Bauten.
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