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Nikolaus Harnoncourt über die Chancen des Haydn-Jahres

Angefangen von der Musik bis hin zum Projekt Haydn-Jahr 2009 beantwortete Nikolaus Harnoncourt die Fragen in einem Interview vom Magazin Profil.

2009 jährt sich Joseph Haydns Todestag zum 200. Mal. Warum ist Haydn nicht annähernd so berühmt wie Mozart?

Harnoncourt: Unser Talent ist viel zu winzig, um bewerten zu können, welcher davon hochwertiger ist. Zwei Komponisten, die außer Konkurrenz stehen, weil sie in ihrer Genialität unbegreiflich bleiben, sind Mozart und Bach. Dennoch empfinde ich es als unglaubliche Gemeinheit zu sagen, Beethoven, Brahms, Dvorák, Schubert oder Haydn seien weniger wertvoll.

Worin unterscheiden sich Mozart und Haydn?

Die beiden sind komplett unterschiedlich. Haydn hat 30 Jahre am Land gelebt und die Einsamkeit zwangsläufig dazu benutzt, originell zu werden. Anders als Mozart steckte er nicht im Getriebe und musste nicht ständig beweisen, etwa besser als Salieri zu sein. Das schafft Freiheit. Haydn konnte experimentieren, ohne dass ihm sofort jemand gesagt hätte, das sei ein Blödsinn. Er hat den Quartettsatz entwickelt, die Symphonie befördert und noch hunderte andere Erfindungen hinterlassen, die den Fortgang der Musik auf Jahrzehnte bestimmt haben. Die Person Mozarts kann sich wirklich jeder auf der Zunge zergehen lassen. Die Begeisterung für Haydn fällt schwerer: Er hat nur Musik geliefert und nicht sich selbst.

Haydn wird dafür bestraft, dass er in stabilen, vergleichsweise banalen Verhältnissen lebte?

Das ist auf jeden Fall so. Mozart entspricht viel eher dem Künstlerbegriff des 19. Jahrhunderts, den wir teilweise noch immer in unseren Köpfen tragen. Die Geschichte vom Wunderkind und dem angeblich verarmten Künstler, der auch noch armselig stirbt, eignete sich hervorragend dazu, sie literarisch von allen Seiten zu beschreiben. Das passt als romantisches Genie. Haydn war im 19. Jahrhundert im Grunde vergessen.

Was könnte das HAYDN-JAHR 2009 leisten?

In diesem Fall ergibt so ein Jahr tatsächlich Sinn und könnte dabei helfen, Missverständnisse auszuräumen. Zum Mozart-Jahr sind einem ja nur ironische Kommentare eingefallen.

Wie stellen Sie sich die Person Haydn vor?

Ich bin ein erbitterter Gegner davon, Biografien und Werk zu vermischen. Ich hätte zum Beispiel gerne, dass mir Mozart und Bach sympathisch wären, weil es nichts gibt, was ich lieber mag als deren Musik. Aber ich kann mir vorstellen, dass sie ekelhafte Menschen waren. Große Künstler müssen in die tiefsten Tiefen menschlicher Emotionen steigen und werden von dieser Aufgabe verzehrt. Bevor Keith Jarrett zwei Stunden am Klavier improvisiert, sperrt er sich vier Wochen lang ein und lässt nichts und niemanden an sich heran. Das erscheint mir unheimlich plausibel. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Haydn und Mozart komponiert haben und nachher mit Freunden eine Runde Skat spielen gegangen sind, so wie Richard Strauss das gemacht hat.

Sie haben sich als Interpret ein Leben lang gegen falsche Traditionen gewehrt: Gilt es, auch Haydn neu zu entdecken?

Es gibt Komponisten wie Bach, die kann man noch so falsch aufführen, aber ihre Musik ist nicht umzubringen, weil man immer noch spürt, das sind tolle Werke. Und es gibt große Musik, die durch schlechte Interpretationen zerstört werden kann. Dafür ist Haydn ein trauriges Beispiel.

Haydn begann als Barockkomponist, am Ende seines Lebens schrieb er fast schon romantische Oratorien. Warum ist sein Schaffen so inkohärent?

Das ist nicht inkohärent, sondern Zeichen dafür, dass Haydn stets am Puls seiner Zeit agierte. Haydn war Avantgardist. Erst unlängst haben wir eine Symphonie gespielt, deren langsamer Satz kreischend am Steg gespielt wird. So etwas habe ich vorher noch nie in einem symphonischen Werk gehört. Viel merkwürdiger finde ich, dass Bach sein Leben lang im selben Stil komponiert hat. Die längste Zeit konnte man seine Werke nicht datieren, weil keiner erkennen konnte, was früher und was später entstanden war.

Besonders stolz war Haydn auf seine Opern: Warum werden sie heute kaum gespielt?

Das verstehe ich nicht. Es gibt große Opernhäuser, in denen keine einzige Haydn- Oper aufgeführt wird. Wenn ich sehe, welche blödsinnigen Opern stattdessen am Programm stehen, könnte ich die Wände hochgehen. Haydn war zu Lebzeiten sogar populärer als Mozart. Hätte man in Paris und London nach dem größten Komponisten gefragt, wäre Haydn genannt worden. Er hat sich geschickt vermarktet. Wenn er ein Stück für Paris komponierte, schrieb er gänzlich anders als für London. Ganz offensichtlich hat er die Kollegen vorher gefragt, was denn die Spezialität in der jeweiligen Stadt sei.

Mozart gilt als „Wunderkind“, Beethoven als „Titan“, Haydn wird „Papa Haydn“ genannt. Das klingt langweilig.

Die „Jahreszeiten“ sind so unpapahaft, wie man nur komponieren kann. Derselbe Vorwurf, der auf Haydn lastet, lastet auch auf Grillparzer und Stifter: jener der liebevollen Beschreibung und biedermeierhaften Provinzialität. Man ist nicht bereit, unter die Oberfläche zu schauen.

Was schätzen Sie an Haydns Musik besonders?

Haydn hatte für die Vermittlung von Emotion eine derart reichhaltige Palette an kompositorischen Mitteln zur Verfügung wie kein Komponist vor ihm. Routine gibt es bei ihm nicht. Man hat den Eindruck, er habe nach jedem Werk sofort vergessen, was er gerade gemacht hatte. Haydn hat sich als Komponist immer wieder selbst vernichtet. Das empfinde ich als unheimlich modern.

Das Gespräch mit Nikolaus Harnoncourt wurde dem Artikel „Lauter Wölfe und Bestien“, profil 45/2007 entnommen. Das Interview führte Peter Schneeberger.

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