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Spannungen zwischen Österreich und Litauen

Nachdem zwischen Österreich und Litauen wegen der so genannten Causa Golowatow die Wogen hochgegangen sind, versuchen am Donnerstag Experten beider Länder, diese in Wien wieder zu glätten.

Litauen fordert detailliertere Informationen zum Vorgehen Österreichs bei der Anhaltung des ehemaligen KGB-Offiziers Michail Golowatow (Mikhail Golovatov) am 14. Juli 2011 am Flughafen Wien-Schwechat.

Litauen sucht Golowatow im Zusammenhang mit der “Blutnacht von Vilnius” im Jänner 1991, bei der 14 Personen ums Leben kamen. Österreich ließ Golowatow trotz eines vorliegenden europäischen Haftbefehls nach 22 Stunden wieder frei. Das Vorgehen der Justiz rief nicht nur in Litauen und den baltischen Nachbarstaaten, sondern auch in der heimischen Politik Kritiker auf den Plan. Der Vorwurf des “Kniefalls vor Russland” steht im Raum.

Litauen hat seinen Botschafter in Wien zu Konsultationen in die Hauptstadt zurückberufen. Im diplomatischen Verkehr stellt das die zweitschärfste Sanktion nach dem Abzug des Botschafters dar. Österreich missachte die “europäische Solidarität”, kritisierte Ministerpräsident Andrius Kubilius. Ein litauischer Politologe bezeichnete Österreich gar als “beschissenes kleines Land”. Vor der österreichischen Botschaft in Vilnius protestierten Hunderte Menschen und riefen Slogans wie “Schande!” oder “Freunde Putins”. Umgehend erklärten sich die baltischen Nachbarn Lettland und Estland solidarisch.

Golowatow werden in Litauen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Als ehemaliger Kommandant der Sondereinheit “Alpha” soll er an der Ermordung der 14 Demonstranten beteiligt gewesen sein. Sie protestierten friedlich vor dem Vilniuser Fernsehturm, den sie vor der sowjetischen “Alpha” schützen wollten. Laut dem litauischen Haftbefehl soll Golowatow gemeinsam mit mehreren Komplizen zudem “Zivilisten systematisch angegriffen” sowie “gefoltert” und “illegal festgenommen” haben.

“Unzureichende Formulierung des Haftbefehls”

Als Golowatow am Nachmittag des 14. Juli aus Moskau kommend am Flughafen Wien-Schwechat landete – eigentlich wollte der heutige Sportfunktionär weiter in die Ramsau reisen – wurde er angehalten, 22 Stunden später jedoch wieder freigelassen. Die Begründung der österreichischen Justiz: Unzureichende Formulierung des litauischen Haftbefehls. Eine “individualisierte Zuordnung” der angeblich begangenen Straftaten und wie diese begangen wurden, fehle, erklärte das Justizministerium. Man verlangte deshalb von Litauen detailliertere Informationen zu den Anschuldigungen. Da die gesetzten Fristen aber aus der Sicht der österreichischen Justiz nicht eingehalten wurden, ließ man den 62-Jährigen am 15. Juli um 14.45 Uhr wieder frei.

Juristisch hat Österreich damit rechtskonform gehandelt, bestätigte wenige Tage später EU-Justizkommissarin Viviane Reding, erinnerte aber gleichzeitig, dass man die politische Dimension “nicht vergessen” dürfe. Reding zeigte sich in einer weiteren, konkretisierenden Stellungnahme “enttäuscht von der österreichischen Vorgehensweise” in der Causa. Bundespräsident Heinz Fischer hält die Optik für nicht unbedingt glücklich, aber rechtsstaatlich konform.

Innenpolitische Debatte

Mittlerweile hat der Fall Golowatow auch eine innenpolitische Debatte ausgelöst. Mitglieder der Regierungsparteien werden nach der Freilassung Golowatows nicht müde, die Rechtskonformität des Vorgehens der heimischen Behörden zu bekräftigen. Der von Litauen ausgestellte europäische Haftbefehl kam nicht zur Anwendung, weil sich die “Blutnacht” weit vor der Implementierung dieses EU-Rechtsinstituts ereignete. Der Europäische Haftbefehl wurde im Jahr 2002 geschaffen.

Gänzlich anders der Standpunkt der Opposition: Sie führt die Freilassung Golowatows ebenso wie die breite Meinung im Baltikum auf Interventionen Russlands zurückführt. Tatsächlich berichtete Golowatow in einem Interview nach seiner Rückkehr nach Russland selbst über den Kontakt des russischen Botschafters Sergej Netschajew – sowohl zum zuständigen Staatsanwalt als auch zum Außenministerium.

Eine Polizeiakte, die der Grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz vorlegte, bietet ein ähnliches Bild. Entsprechend dem Wunsch Netschajews wird demnach von einer Einlieferung Golowatows in eine Justizanstalt abgesehen. Pilz kündigte einen Misstrauensantrag sowie einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss an und brachte eine Sachverhaltsdarstellung an die Korruptionsstaatsanwaltschaft ein.

Kritik an der Regierung kommt aber – wenn bisher zwar nur leise – auch aus den eigenen Reihen: Ex-Vizekanzler Erhard Busek, Ex-EU-Kommissar Franz Fischler und auch der frühere zweite Nationalratspräsident Heinrich Neisser (alle V) verwiesen auf die politische Dimension der Entscheidung. Österreich stehe international und europäisch “schrecklich” da, sagte Busek und meint, dass der zurücktreten solle, “der die politische Verantwortung dafür trägt”.

Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden (S) ist sich sicher, dass Österreich auf russischen Druck hin “aufsalutiert” hat und ortet “schweres Versagen”. Ähnlich denkt einer Umfrage zufolge die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung. 53 Prozent glauben, dass die Freilassung des Ex-KGB-Offiziers nur auf Druck Russlands zustande kam.

Detail der Affäre: Golowatow reiste vor seiner Festnahme Österreich mehrmals in andere EU-Länder ein. Nirgendwo wurde er angehalten oder gar verhaftet. Finnland stellte ihm vor zwei Jahren ein Schengen-Visum aus. Nach Bekanntwerden der Geschehnisse in Wien zog Helsinki Golowatows Visum zurück.

Die unterschiedliche Schreibweise von Golowatows Vornamen in Visum und Haftbefehl soll nach finnischer Vermutung der Grund gewesen sein, warum Golowatow mit dem Visum trotz Vorliegens des von Litauen im Herbst 2010 erlassenen Europäischen Haftbefehls sowohl in Finnland als auch in Tschechien und Zypern unbehelligt ein- und ausreisen konnte. Statt Mikhail (englische Transkription, Anm.) – wie auf dem Visum – war der Russe im Schengen-Informationssystem (SIS) unter “Michail” (deutsche Schreibweise, Anm.) gespeichert.

Bei dem anstehenden Expertentreffen glaube er an eine Lösung “in eine positive Richtung”, wenn Österreich kooperiere und sämtliche von Litauen geforderte Informationen zur Verfügung gestellt würden, so Litauens Außenminister Audronius Azubalis. Ansonsten sei eine Entschuldigung erwünscht. “Wenn jemand einen Fehler macht, hat er sich zu entschuldigen”, sagte Azubalis.

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