Nach dem 11. September stand die UNO in Washington hoch im Kurs. Damals unterstrich der Sicherheitsrat auf Betreiben der USA das Recht der Staaten auf Selbstverteidigung gegen den Terrorismus und forderte alle Staaten auf, jede Hilfe für Terroristen zu kappen. Die US-Regierung war deshalb voll des Lobes für die Vereinten Nationen. Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Neuerdings gehen die USA wieder auf Kollisionskurs zur UNO – im Streit um den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) und die UNO-Mission in Bosnien bricht sich der alte „Unilateralismus“ von Präsident George W. Bush Bahn.
Während das neue internationale Gericht am Montag in Den Haag seine Arbeit aufnahm, wurde bei der UNO in New York weiter um einen Kompromiss um die Polizeimission in Bosnien (UNMIBH) gerungen. Kompromissbereitschaft der USA war aber zunächst weiter nicht erkennbar. Die USA blieben „grundsatztreu“ und würden alles tun, „um ihre Bürger zu schützen“, verkündete der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer. Die sechsmonatige Verlängerung des Mandats für die UN-Polizeitruppe in Bosnien war am Wochenende am Veto der USA vorerst gescheitert. Es gab lediglich eine Verlängerung um 72 Stunden bis Mittwoch – und damit etwas zusätzliche Zeit für die Suche nach einer Lösung.
„Friedensmissionen als Geiseln“ – unter dieses Motto fasste die „New York Times“ die Strategie der USA: Da die Gründung des Internationalen Strafgerichts (IStGH) nicht verhindert werden konnte, wird nun die Auseinandersetzung um einzelne multilaterale Missionen instrumentalisiert, um das Gericht schon in seinen Anfängen zu torpedieren. Diese Strategie wirft jedoch einen Schatten auf die Zukunft zahlreicher multinationaler Friedenseinsätze, etwa auch SFOR in Bosnien, UNMIK im Kosovo und ISAF in Afghanistan. Zwar finden diese drei Einsätze im Gegensatz zu UNMIBH nicht unter dem Kommando der UNO statt. Und die USA versicherten auch, ein Abzug ihrer US-Soldaten aus der SFOR-Truppe sei nicht geplant. Doch sollte der Konflikt um den IStGH weiter eskalieren, könnte eine zunehmende Zahl von Friedenseinsätzen in den Streit hineingezogen werden.
Nachdem Bush bereits in der Nahost-Politik mit seinem Abgesang auf Jassir Arafat einseitig vorgeprescht war, verschärfen die USA mit ihrem Kampf gegen das Internationale Strafgericht weiter ihren „unilateralen“ Kurs. Natürlich ist die Absage an den „Multilateralismus“ nicht total – von einem „Multilateralismus ì la carte“ sprach vielmehr ein hoher europäischer Diplomat in New York. Internationale Bündnisse werden demnach gesucht, wenn es dem Interesse der USA nutzt – wie nach dem 11. September. Internationale Institutionen werden dagegen düpiert, wenn sie den Interessen der USA entgegen zu stehen scheinen – wie im Fall des ABM-Abrüstungsvertrags, des Klima-Protokolls von Kyoto oder des Internationalen Strafgerichtshofs.
Die tief sitzende Abneigung der USA gegen das neue Haager Tibunal ist für die meisten anderen Staaten allerdings kaum nachvollziehbar. Die deutsche Regierung sieht in dem Gericht, das als erste dauerhafte länderübergreifende Instanz Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgen soll, einen Meilenstein im internationalen Recht. 74 Staaten ratifizierten das Statut bisher. Doch in den USA sehen viele den IStGH als Anschlag auf die nationale Souveränität. Bereits Bill Clinton hatte das Statut nur nach langem Zögern unterzeichnet, Nachfolger Bush zog diese Unterschrift im Mai wieder zurück. Den Schritt begründete die Regierung mit der Sorge, dass US-Bürger zum Opfer einer politisch motivierten Verfolgung durch das Gericht werden könnten.
Dabei enthalten die Statuten des Gerichts durchaus Vorkehrungen gegen den Missbrauch. So soll das Gericht nur eingreifen, wenn die Justiz im eigenen Land des Beschuldigten nicht aktiv wird. Doch solche Garantien reichen den USA nicht. Der Politologe Robert Kagan forderte in der „Washington Post“ das Verständnis der Europäer ein. Da die USA weitaus mehr Soldaten weltweit im Einsatz hätten als andere Länder, seien sie auch leichter anfällig für Verfehlungen des IStGH. Und da die USA die dominierende wirtschaftliche, politische, kulturelle und militärische Macht seien, „sind sie auch weltweit öfter das Objekt des Zorns als, sagen wir, Luxemburg.“