Gipfel brachte keine Klarheit
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben in Kopenhagen wieder einmal einen Wunsch geäußert: Ihre Minister sollen noch vor Jahresende eine Transitsystem durch Österreich für die Jahre 2004 bis 2006 beschließen. Was also seit dem Gipfel von Laeken vor einem Jahr nicht gelungen ist, soll jetzt innerhalb von zwei Wochen über die Bühne gehen. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) berichtete aber nach dem Gipfel nichts von inhaltlichen Vereinbarungen: „Ich habe nicht gesagt, dass wir·s haben. Ich glaube nur, dass wir mit der heutigen Beschlussfassung einen großen Schritt nach vorne gekommen sind“, sagte er.
Schüssel hat am Gipfel nicht die Verhandlungen über die Erweiterung in Geiselhaft genommen, obwohl er nach eigenen Angaben gemeinsam mit Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (V) „vielleicht sogar seit wir in der Europäischen Union sind die (…) härtesten Verhandlungen“ über Temelin und Ökopunkte geführt hat. Als es ganz am Ende zu fünfzehnt noch eine Stunde lang um die Ökopunkte ging, war die Erweiterung schon unter Dach und Fach.
Um den Druck aufrecht zu halten, muss aber weiter die Erweiterung herhalten: „Ich habe sehr klar gemacht im Saal, dass dies für uns eine absolute Voraussetzung ist für den endgültigen Abschluss unter das gesamte Vertragswerk“, sagte Schüssel vor der Presse. Am 16. April soll der Beitrittsvertrag feierlich in Athen unterzeichnet werden. Das Wort Veto-Drohung ist bei Österreichs Politikern inzwischen tabu. Zudem ist tatsächlich schwer vorstellbar, dass Österreich in Athen seine Unterschrift verweigert. Auf die Frage, ob auch andere Länder noch solche Vorbehalte vor der Unterschrift zum Erweiterungsvertrag hätten, sagte Schüssel nach kurzem Nachdenken:
„Ich glaube nicht.“
So klar die Aufforderung des Gipfels auf den ersten Blick auch ist, so zahlreich sind die Fragen, die sie aufwirft. Einen ganz neuen Ansatz zur Lösung der Transitproblematik kann es in den wenigen verbleibenden Tagen nicht geben. Ein solcher müsste auch erst von der EU-Kommission vorgelegt werden. Also dürfte man auf jenen Kompromiss zurückgreifen, der vor einer Woche bereits im Wesentlichen zwischen den Verkehrsministern ausgemacht war und der eine Weiterentwicklung des Kommissionsvorschlags aus dem Dezember 2001 ist. Dann stellt sich aber die Frage, warum Österreich den EU-Gipfel mit seinem Anliegen überhaupt befassen musste.
Der Kompromiss sah vor, dass die Ökopunkte in ganz Österreich gelten bis die neue Wegekostenrichtlinie beschlossen ist, längstens aber bis 2006. Modernste Lkw (Euro-4) dürften ohne Ökopunkte fahren, dafür würde das ganze Ökopunktekontingent verringert, damit die Umweltbilanz in Österreich unverändert bliebe.
Fragen sind im Laufe des Gipfels auch aufgetaucht über mögliche Versprechungen an Italien und Deutschland für deren Zustimmung zu einer Fortsetzung des Transitsystems. Am Gipfel wurde deutlich, dass Schröder für seine Zustimmung Konzessionen Österreichs bei der Zinsertragssteuer erwartet. Der entsprechende Beschluss der EU-Finanzminister wird für den 21. Jänner erwartet. Unbekannt ist bisher, ob bzw. welche Versprechungen Österreich Italien gemacht hat.
Schüssel dementierte in der Pressekonferenz jeden Zusammenhang:
„Es hat keinerlei Junktim gegeben, es war ausschließlich die Frage, was formulieren wir, wie formulieren wir es, und das Junktim war mit dem Erweiterungsprozess“. Und: „Alle anderen Dinge werden isoliert und getrennt behandelt, wie das immer üblich gewesen ist. Da gibt es zuständige Fachministerräte, und die machen das rein objektiv“, sagte er.
Unter den Tisch fällt meist auch, dass das EU-Parlament in der Verlängerung des Transitsystems volles Mitspracherecht hat. Für Schüssel ist klar, „dass ich davon ausgehe, dass wenn wir eine gemeinsame Stellungnahme oder ein gemeinsames Projekt haben zwischen dem Rat und der Kommission, dass das dann auch im Parlament halten wird. Also davon darf man doch wohl ausgehen“, sagt er. Außerdem sei das Abgeordnetenhaus traditionell den österreichischen Anliegen gegenüber positiv eingestellt.
Aber auch wenn die Abstimmungen in verschiedenen Parlamentsausschüssen unterschiedlich ausfielen, in der einzig rechtlich bindenden Entscheidung hat sich das Abgeordnetenhaus bisher für die Abschaffung der 108-Prozent-Klausel ausgesprochen. Die 626 EU-Abgeordneten fühlen sich auch in der Regel als Gegenspieler des EU-Ministerrates und nicht dessen Wünschen verpflichtet. Das gemeinsame Entscheidungsverfahren der beiden Institutionen dauert auf jeden Fall länger als bis zum 16. April. Um den endgültigen Beschluss abzuwarten, müsste Österreich auch die Ratifizierung der Beitrittsverträge mit der Transitverlängerung junktimieren.