„Im Konsens“ mussten die 105 Vollmitglieder des Konvents den Entwurf für die Verfassung Europas beschließen. Mit Spannung war erwartet worden, wie Präsident Valery Giscard d’Estaing diesen Konsens feststellen würde: Überhaupt nicht, ist wohl die treffendste Antwort. „Steht auf für Europa“, forderte der Franzose zum Schluss seiner Feierrede und ließ die Europahymne, Beethovens Neunte, spielen. So galt für manche schon der Satz „Die Verfassung ist nicht perfekt aber besser als erhofft“ als entscheidender Hinweis auf den Konsens.
Obwohl noch am gestrigen Donnerstag heftige Kritik an der Unzulänglichkeit des Textes geübt worden war, wollte heute Freitag keiner mehr Spielverderber sein. Mit Ausnahme des dänischen EU-Kritikers Jens Bonde wiesen alle auf die riesigen Fortschritte hin, die im Text enthalten seien. Auch Spaniens Außenminister Ana Palacio meldete zwar einen Vorbehalt ihrer Regierung an, nur um dann doch den Konvent als „Erfolg“ und ihre Teilnahme an der Übung als „große Ehre“ zu bezeichnen. Im Sinne der freundlichen Atmosphäre gab es viel Lob für die Demokratisierung der EU und kaum Wortmeldungen zu den neuen EU-Institutionen, die bis zuletzt umstritten waren.
Giscard bot allen Konventsmitgliedern an, nach dem endgültigen Abschluss der Arbeiten Mitte Juli ihre Unterschrift unter das Werk zu setzen. Bisher scheinen alle Konventsmitglieder dazu entschlossen, auch der Beauftragte von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) im EU-Konvent, Hannes Farnleitner, der gerade noch Giscard aufgefordert hatte, über seien Vorschläge noch einmal nachzudenken.
Im Überschwang der Gefühle ließ heute auch die Rededisziplin der Konventsmitglieder zu wünschen übrig. Praktisch keiner kam mit seinen zwei Minuten aus, um den „historischen Moment“ zu würdigen. So dauerte die Sitzung auch über zwei Stunden, statt nur einer, wie es Giscard vorgesehen hatte.
Giscard selbst scheint sich in den vergangenen 16 Monaten nur wenige Freunde und Verehrer geschaffen zu haben. Lob für ihn, der regelmäßig für seinen autoritären Stil kritisiert worden war, floss spärlich. Ausdrückliche Kritik war an einem solchen „Feiertag“ aber nicht zu hören.