Belgien ändert sein Kriegsverbrechergesetz
Nach Zeitungsberichten vom Montag wird es faktisch abgeschafft. Die US-Regierung hatte mit einem Besuchsboykott – etwa bei der NATO in Brüssel – gedroht, falls ihren Politikern oder Militärs dort Prozesse drohen könnten. Die Menschenrechtsorganisation Human Richts Watch war der Regierung von Ministerpräsident Guy Verhofstadt vor, grundlegende Prinzipien aufzugeben. Verhofstadt hatte am Sonntag eine deutliche Änderung des Gesetzes angekündigt.
Am Sonntagabend erläuterte der belgische Außenminister Louis Michel NATO-Generalsekretär George Robertson die Änderungen, auf die sich die voraussichtlichen Koalitionspartner zuvor geeinigt hatten. Nach der Wahl vom Mai ist die neue Regierung noch nicht im Amt. Die künftigen Regierungspartner wollen dafür sorgen, dass die belgische Justiz bei Kriegsverbrechen nur noch dann zuständig ist, wenn Täter oder Opfer Belgier sind oder, im Falles des Opfers, mindestens drei Jahre in Belgien gelebt haben. Bisher konnte sie alle Kriegsverbrechen verfolgen, unabhängig vom Ort der Tat oder der Nationalität der Opfer beziehungsweise der Verdächtigen. Jetzt soll es außerdem eine Immunitätsklausel geben, die die Inhaber hoher politischer Ämter oder Diplomaten in jedem Fall vor Strafverfolgung schützt.
Mit den Änderungen werde der universelle Charakter des Gesetzes, das weltweit Modellcharakter gehabt habe, aufgegeben, bedauerte die Strafrechtsprofessorin Chris Van den Wyngaert in der Zeitung „Standaard“ (Montagsausgabe). Ähnlich äußerte sich der Rechtsanwalt Michael Verhaeghe. Er vertritt jene Kläger, die vor einem belgischen Gericht den israelischen Regierungschef Ariel Sharon wegen der Massaker von Sabra und Shatila im Libanon 1982 zur Verantwortung ziehen wollten. Dies wird nach einer neuerlichen Änderung des Gesetzes wohl nicht mehr möglich sein. . HRW kritisierte, die Regierung in Brüssel habe gegenüber den USA zu viele Konzessionen gemacht.
US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte beim Treffen der NATO-Außenminister Anfang des Monats in Brüssel das belgische Gesetz scharf kritisiert. Er sagte, hohe Funktionäre seiner Regierung könnten nicht mehr nach Belgien kommen, wenn sie sich dort mit Geld und Aufwand gegen Anklagen wehren müssten. Die neue NATO-Zentrale wieder in Brüssel zu bauen mache keinen Sinn, wenn dort keine Treffen mehr stattfinden könnten, hatte Rumsfeld gesagt.
Außenminister Michel sagte, der Sitz des NATO-Hauptquartiers habe in seinem Gespräch mit dem Generalsekretär keine Rolle gespielt. „Der Sitz der NATO ist hier in Belgien. Ich lehne es ab, Nicht-Themen zu diskutieren“, sagte Michel nach dem Treffen. Ein NATO-Sprecher sagte lediglich, das Gespräch sei „nützlich“ gewesen.
Erst in der vergangenen Woche waren wieder mehrere Klagen auf Grund des Kriegsverbrecher- und Völkermordgesetzes in Brüssel eingegangen, darunter gegen den US-Präsidenten George W. Bush und den britischen Premierminister Tony Blair. Die belgische Regierung leitete diese Klagen an die Justizbehörden in Washington und London weiter – eine Möglichkeit, die bereits vor kurzem in das Gesetz eingefügt worden war, um es zu entschärfen. Verurteilt wurden nach dem Gesetz bisher nur vier Ruandesen, die sich nach Überzeugung des belgischen Gerichts am Völkermord in ihrem Land beteiligt hatten.