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Kuba: Fidel liest der Welt die Leviten

Zerstreut wirkte er streckenweise bei seinem zweistündigen Diskurs, und bisweilen drohte ihm die Stimme zu versagen: Kein Zweifel, der Maximo Lider ist alt geworden.

Doch in der Wortwahl war Fidel Castro auch am 1. Mai 2004 (Ortszeit) unerbittlich. Kampfeslustig geißelte er die US-„Banditen” und die EU-„Mafia”. Die Massen auf der „Plaza de la Revolucion” hörten geduldig seine Botschaft von der „sauberen Revolution”, welche die Kubaner „bis zum letzten Blutstropfen verteidigen” würden.

Rund eine Million dieser laut Fidel so kämpferischen Kubaner war heuer zu traditionellen Maifeiern aufmarschiert – nach seiner Schätzung. Für viele Bewohner der Zuckerinsel ist der 1. Mai ein Volksfest. Bereits um 6.00 Uhr früh waren die ersten Menschen auf dem Platz erschienen, mit Proviant und Fähnchen – viele in roten T-Shirts. Auch die ausländische Journalistenschar, die zu einem Tourismuskongress angereist war, wurde kurzerhand in „Rothemden” gesteckt. Das machte sich auf der Pressetribüne – unmittelbar in Fidels Blickfeld – sicherlich gut.

Die Dramaturgie auf dem Revolutionsplatz folgte dem bewährten Muster. Unter dem Denkmal des Befreiungshelden Jose Marti saßen Abordnungen Jugendlicher, nach Sektoren in die Nationalfarben Rot, Weiß und Blau gekleidet. Gegenüber, neben dem vertrauten Che-Guevara-Porträt, verkündete ein Spruch in Riesenlettern „Jeder Kubaner ist eine Armee”. Eine passende Kulisse für die dicht gedrängten Massen, die Castros Rundumschlag immer wieder mit zustimmendem Fähnchen-Schwingen bedachte.

55 Delegationen aus aller Welt gaben der kubanischen Revolution im 45. Jahr ihres Bestehens die Ehre, verkündete der Platzsprecher stolz. Fünf ausgewählte Repräsentanten ausländischer Massenorganisationen bildeten, durchmischt mit Musik- und Tanzdarbietungen, das Vorprogramm zu Castros Rede an das Volk. Sie alle übten sich in Kampfrhetorik. Der kalifornische Gewerkschaftsboss schrie sich mit „Viva”-Rufen heiser, sein mexikanischer Kollege lieferte eine Tirade gegen (US-Präsident George W.) „Bush und seine Kamarilla”, und jener aus Venezuela pries die Errungenschaften von Präsident Hugo Chavez.

Dann war endlich der Maximo Lider dran. Die Rüge für Kuba in der UNO-Menschenrechtskommission, wo Kuba in Genf wieder auf der Anklagebank saß, wollte Castro nicht hinnehmen. Fünf „schwache” Staaten Lateinamerikas hätten die Kuba-feindliche Resolution unterstützt, „servil und in US-Abhängigkeit”, allen voran Mexiko. Zugleich prangerte er die USA an: deren schlechte Behandlung der Afghanistan-Häftlinge sei „eine der abscheulichsten Menschenrechtsverletzungen”.

„Wir verstehen etwas von Menschenrechten”, so der kubanische Staatschef selbstbewusst. Kuba kenne keine Todesschwadronen und keine außergerichtlichen Verfahren. Die USA hingegen führten „brutale Bombardements” im Irak aus, und ihren Truppen gehörten „viele Schwarze und Latinos” an. Spanien, dessen „US-hörige” Regierung bei der Wahl die Rechnung präsentiert bekam, komme „eine moralische Verantwortung” zu, die mittelamerikanischen Soldaten aus dem Irak zurück zu holen, wo sie nur als „Kanonenfutter” dienten.

Nicht viel besser kam die Europäische Union weg. In Genf habe sich die EU wie „eine Herde von Scheinheiligen” hinter den USA benommen, als es um die Billigung einer kubanischen Resolution ging, die eine Beobachtermission für Guantanamo forderte. Und für die Verurteilung Kubas habe die Union gestimmt wie „eine Mafia-Clique, die sich Washington unterwirft”. Das frostige Verhältnis der EU zu Kuba quittierte Castro mit den Worten, sein Land brauche weder „Almosen” – die europäischen Touristen in den Luxushotels brächten mehr Geld als die EU-Entwicklungshilfe ausmache – noch „Ratschläge in Sachen Demokratie” aus Brüssel.

„Es lebe der Sozialismus! Vaterland oder Tod! Wir werden siegen!” Der Maximo Lider schloss seine von heftigen Gesten begleitete Rede mit der gewohnten Kampfparole. Die Internationale wurde abgespielt, viel Volk sang aus voller Kehle mit. Einen jungen russischen Journalisten überzeugte das Spektakel keineswegs. „Meiner Generation kommt er vor wie eine Figur aus einem historischen Roman”, meinte er. Der Russe trug, im Gegensatz zu seinen westlichen Kollegen, ein weißes T-Shirt. Wahrscheinlich hatte er in seiner Kindheit auf dem Roten Platz in Moskau schon zu viele Rotarmisten gesehen..

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