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Irak: 25 Todesfälle von Häftlingen überprüft

Angesichts der weltweiten Empörung über Misshandlungen von Häftlingen in amerikanischen Militärgefängnissen ist die US-Regierung um Schadensbegrenzung bemüht.

Die Streitkräfte sagten am Dienstag eine Änderung der Verhörmethoden zu. Ferner wurde bekannt gegeben, dass Ermittlungen in den Todesfällen von insgesamt 25 Häftlingen im Irak und Afghanistan eingeleitet worden seien. Als weitere ranghohe Regierungsvertreterin versprach Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice eine konsequente Bestrafung der Täter.

Bei den 25 registrierten Todesfällen seien die zuständigen Militärgerichte zwölf Mal zu dem Schluss gekommen, dass es sich um einen natürlichen Tod gehandelt habe oder die Ursache nicht eindeutig feststellbar sei, teilte Generalmajor Donald Ryder in Washington mit. Zwei Mal sei indessen ein eindeutiges Tötungsdelikt vorgelegen. In einem dieser Fälle sei ein US-Soldat der unangemessenen Gewalt für schuldig befunden worden und nach Verlust seines Dienstgrades aus der Armee entlassen worden. Der andere Fall, der einen Geheimdienstmitarbeiter betreffe, sei an das US-Justizministerium verwiesen worden.

Eine weitere Tötung eines Gefangenen sei aus einer Notlage heraus als gerechtfertigt betrachtet worden, fügte Ryder hinzu. Dies bedeute, dass noch zehn Fälle, die sich überwiegend im Irak abgespielt hätten, nicht gänzlich geklärt seien. Hier gingen die Ermittlungen weiter. Überprüft würden ferner noch zehn Fälle von Körperverletzung, wozu auch ein konkreter Verdacht auf sexuelle Gewalt gehöre.

Als Reaktion auf die Vorwürfe wegen Misshandlungen irakischer Gefangener teilten die US-Streitkräfte weiter mit, dass die Zahl der Häftlinge im Bagdader Gefängnis Abu Ghoreib von derzeit 3.800 auf etwa die Hälfte reduziert werde. Einige Verhörmethoden wie Schlafentzug müssten künftig von ranghohen Offizieren genehmigt werden, erklärte der neue Gefängnisleiter, Generalmajor Geoffrey Miller, in der irakischen Hauptstadt.

Sicherheitsberaterin Rice gab dem arabischen Fernsehsender Al Jazeera am Dienstag ein Interview, in dem sie offensichtlich darum bemüht war, die Wogen in der arabischen Welt zu glätten. „Wir haben ein demokratisches System, in dem Menschen für ihre Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden“, betonte sie. US-Präsident George W. Bush werde dafür sorgen, dass die Verantwortlichen für die Misshandlungen gerichtlich verfolgt würden.

Aus Protest gegen die Vorkommnisse trat der von den USA ernannte irakische Menschenrechtsminister zurück. Abdul Basat el Turki äußerte im Fernsehsender Al Jazeera die Vermutung, dass solche Misshandlungen wegen des üblichen Einsatzes von Gewalt in irakischen Gefängnissen an der Tagesordnung seien. Er habe sich bereits im Dezember beim US-Zivilverwalter Paul Bremer über Menschenrechtsverstöße der Amerikaner beschwert.

Der Bagdader Innenminister Samir Shaker Mahmud el Sumeidi forderte, dass Iraker am Betrieb der Gefängnisse in ihrem Land beteiligt werden müssten. Diese stehen zurzeit komplett unter US-Aufsicht, irakische Regierungsvertreter dürfen sie nur mit amerikanischer Genehmigung betreten.

Pressestimmen zu US-Misshandlungsskandal

Die Erniedrigungen und Demütigungen, der sexuelle Missbrauch irakischer Gefangener durch die US-Besatzungstruppen werden auch am Mittwoch von der internationalen Presse ausführlich kommentiert:

“Neue Zürcher Zeitung:

„Der Skandal um die Misshandlung irakischer Gefangener durch amerikanische Soldaten zieht in den USA immer weitere Kreise. Die aufgeschreckte Öffentlichkeit erfährt aus den Medien täglich neue Details. (…) Noch ist nicht restlos geklärt, ob die Misshandlungen im Abu-Ghoreib-Gefängnis nur die Spitze eines Eisbergs bilden und von einem generellen Muster von Misshandlungen irakischer Gefangener gesprochen werden muss. Eine einzige Misshandlung ist aber schon zu viel. Die Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht sind ganz dazu geeignet, die Amerikaner beim Ringen um ’hearts and minds’, um die innere Zustimmung der Iraker zum Aufbruch in eine neue demokratische Ordnung, zurückzuwerfen. Auf jeden Fall liefern sie den irakischen Aufständischen ein Propagandainstrument in die Hand, das ihnen gestattet, den Widerstand auch als Kampf gegen Folterer darzustellen.“

“die tageszeitung” (taz):

„Ein kleines vietnamesisches Mädchen rennt nach einem US-Napalmangriff auf sein Dorf schreiend die Straße entlang. Jacqueline Kennedy versucht nach den tödlichen Schüssen auf ihren Mann auf den Kofferraum ihres Autos zu klettern. Das zweite Flugzeug nähert sich dem World Trade Center, dessen einer Turm bereits brennt. Alle diese Bilder haben sich in das kollektive Gedächtnis der Weltöffentlichkeit eingebrannt – Momentaufnahmen, die zu Symbolen für historische Ereignisse geworden sind. So unterschiedlich diese Ereignisse auch sind, die Fotos haben etwas gemeinsam: Sie sind nicht mehrdeutig. Ihre Botschaft des Schreckens bedarf keiner Interpretation. Das gilt auch für das Foto des irakischen Gefangenen, der mit einer Kapuze über dem Kopf und an den Händen befestigten Stromkabeln auf einer schmalen Kiste steht. Vieles spricht dafür, dass dieses Bild zum Symbol des Irak-Krieges werden wird, zum Sinnbild dafür, welche Verbrechen hinter einer glatten, gefälligen Fassade begangen worden sind. Verbrechen? Man kann es auch mit dem großen Zyniker Talleyrand halten: Weit schlimmer. Dummheiten.“

“Der Tagesspiegel”:

„Jetzt ist die Frage: Wer trägt die Verantwortung? Und: Sind die Misshandlungen Einzelfälle? Das betont die US-Regierung. Doch immer mehr Informationen legen den Verdacht nahe, dass eine Systematik dahinter stand. Der Entzug von Schlaf und andere Formen psychischer Gewalt, um Verdächtige zum Sprechen zu bringen, scheint in US-Geheimdienstkreisen üblich zu sein. Befördert wurde der Skandal von Kompetenzunklarheiten zwischen Armee, Geheimdienst und Privatfirmen, die im Auftrag des Pentagon im Irak geheimdienstliche Tätigkeiten ausüben…“

“Stuttgarter Zeitung”:

„Angetreten im Namen der Demokratie und des Rechtsstaates, hat sich die US-Armee ähnlich grausamer Methoden bedient, die man zu Recht Saddam Hussein vorgeworfen hat. Wie will Amerika je wieder glaubwürdig als Vorkämpfer für Recht, Freiheit und Menschenrechte auftreten? Und es sind ja nicht nur die Bilder an sich, es ist auch der Umgang mit ihnen, der schockiert. Seit Monaten wusste die US-Armee Bescheid. Angeblich aber hat man Verteidigungsminister Rumsfeld nicht informiert. Die Schuldigen werden verwarnt, aber nicht aus der Armee entlassen. Und auch Rumsfeld bleibt im Amt. Man hätte es nicht für möglich gehalten, dass Amerikas führende Politiker das Ansehen des eigenen Landes in so kurzer Zeit geradezu systematisch ruinieren können, wie es Bush, Cheney, Rumsfeld, Rice, Perle und andere getan haben…“

“Liberation”:

„Saddam Hussein kann darüber noch lachen. Ihre Intervention im Irak hatten die USA unter anderem auch mit den Misshandlungen in den irakischen Gefängnissen gerechtfertigt. Jetzt geben sie Gelegenheit zu ähnlichen Vorwürfen. Das Militär von US-Präsident George W. Bush hat damit ein tolles Eigentor geschossen. An den äußerst lebhaften Reaktionen in der arabischen Welt auf die Foltervorwürfe kann man ermessen, wieviel Groll und Verbitterung sich dort angehäuft hat. Der politische Schaden für Washington wird derart groß sein, dass er nicht durch ein paar Bestrafungen und Prozesse zu behoben sein wird.“

“Kommersant” (Moskau):

„Der Skandal um die Folterungen im Gefängnis von Abu Ghoreib erschüttert die Stellung der USA im Irak weiter. Früher galt Washington noch als Befreier des Landes vom Joch Saddam Husseins, jetzt sehen viele Iraker keinen Unterschied mehr zwischen dem früheren und den neuen Machthabern. Die eingestandenen Folterungen heizen die antiamerikanische Stimmung in der Bevölkerung weiter an. Dutzende Iraker, die in Abu Ghoreib eingesperrt waren, wetteifern jetzt, westlichen Journalisten zu erzählen, wie die Amerikaner sie misshandelt haben.“

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