In Frankreich müsse es endlich einen Ruck geben, um Rassismus und Antisemitismus wirksam zu bekämpfen, sagte der französische Staatschef bei einem viel beachteten Auftritt vor anderthalb Wochen in Chambon-sur-Lignon, wo Tausende Juden im Zweiten Weltkrieg Schutz gefunden hatten.
Die Worte seien in Israel sehr gut aufgenommen worden, berichtete der israelische Regierungssprecher Avi Pazner damals. Am Montag musste Pazner nun Worte seines eigenen Chefs Ariel Sharon kommentieren, die in Frankreich weitaus weniger gut ankamen: Die Aufforderung des Ministerpräsidenten, alle Juden sollten Frankreich sofort verlassen, muss der Pariser Regierung wie ein Schlag ins Gesicht vorkommen.
Seit Monaten lassen Chirac und seine konservative Regierung kaum eine Möglichkeit aus, um sich Straftaten gegen Juden und jüdische Einrichtungen in Frankreich entschlossen entgegenzustellen. Zum Nationalfeiertag am 14. Juli nahm der Staatschef erstmals judenfeindliche Straftäter von einer Gnadenregelung aus, die üblicherweise den Erlass beinahe verbüßter Haftstrafen bringt. Als eine Französin sich als Opfer eines antijüdischen Angriffs ausgab, zeigte sich der Staatschef empört. Und als sich der vermeintlich Abscheu erregende Angriff als pure Erfindung erwies, betonte Chirac, er bedauere seine rasche Reaktion nicht.
Dass es den französischen Regierenden Ernst ist, wird auch in Israel anerkannt. Chiracs Rede sei äußerst wichtig gewesen und zeige, dass Antisemitismus und Rassismus in Frankreich nicht geduldet würden, hatte Sharons Sprecher Pazner gesagt. Nun rief sein Chef die französischen Juden offen dazu auf, das Land zu verlassen und sich in Israel anzusiedeln, wie dies auch die anderen Juden tun sollten. Sie sollten sofort kommen und damit vor einer neuen Form des Antisemitismus fliehen. Als Schuldige benannte Sharon die zehn Prozent Moslems in Frankreich. Diese pauschale Anschuldigung trifft wohl weniger Menschen: Unter 60 Millionen Einwohnern werden gut vier Millionen Moslems vermutet; die Frage nach der Religion ist in der amtlichen Statistik verpönt.
Sharons Attacke ärgert auch die Verbände, die sich in Frankreich um die Juden und deren Integration in die laizistische, aber weit gehend von Katholiken bevölkerte Republik kümmern. Immerhin leben hier 600.000 Menschen jüdischen Glaubens. Zunehmend aber belastet der Nahostkonflikt die sozialen Beziehungen vor allem in den Vorstädten, wo Juden und zumeist maghrebinische Moslems zusammenleben. Nun drohe Sharon Öl ins Feuer zu gießen, sagte ein Verbändevertreter mit beinahe biblischen Worten.
Erst vor einem Monat dementierte die jüdische Agentur in Frankreich Berichte über einen Plan Israels, um die jungen französischen Juden zum Verlassen des Landes aufzufordern. In naher Zukunft würden aber wohl ohnehin 30.000 bis 33.000 von ihnen auswandern, hatte es geheißen. Nun darf Paris herausfinden, welches Kalkül hinter dem Vorstoß Sharons steckt.
Zunächst einmal verlangt Frankreich Erklärungen. Dabei dürften die wohl nicht so schwer zu finden sein – solange auch in der Außenpolitik geforscht wird. Frankreichs positive Haltung gegenüber der arabischen Welt im Allgemeinen und den Palästinensern im Besonderen ärgert Jerusalem seit langem. Zuletzt machte der Pariser Außenminister Michel Barnier Yasser Arafat seine Aufwartung und prangerte Israels Umgang mit dem Palästinenserpräsidenten an.
Einmal mehr findet sich Chirac auch gegenüber der islamischen Welt zwischen zwei Stühlen: Am Dienstag berät er mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, der sein laizistisches, aber moslemisch geprägtes Land in die Europäische Union führen will. Chiracs Partei UMP ist dagegen, der Staatschef selbst sieht aber wohl kaum noch keinen anderen Weg, als Beitrittsverhandlungen in die Wege zu leiten, wenn die Europäer den Türken demnächst echte Fortschritte bescheinigen sollten.