Man bedaure sehr, Afghanistan nach 24 Jahren verlassen zu müssen, aber der gegenwärtige Kontext macht humanitäre Hilfe für das afghanische Volk nahezu unmöglich, hieß es am Mittwoch in einer MSF-Erklärung. Im Juni waren fünf MSF-Mitarbeiter (eine Belgierin, ein Norweger, ein Niederländer und zwei Afghanen) im Nordwesten des Landes in einem Hinterhalt ermordet worden.
Der Regierung in Kabul warf MSF vor, sie komme ihrer Verantwortung nicht nach, die Sicherheit humanitärer Helfer zu gewährleisten. Die Ärzte-Organisation sei wütend und traurig, dass wir die afghanische Bevölkerung nach so vielen Jahren in ihrer Not allein lassen müssen, erklärte MSF-Generalsekretärin Marine Buissonnière. Die Taliban beschuldigten MSF zu Unrecht, für amerikanische Interessen zu arbeiten, erklärte die Organisation. Mit weiteren Angriffen sei zu rechnen.
Der US-geführten Koalition warf MSF vor, sie missbrauche humanitäre Hilfe ständig für ihre militärischen und politischen Ziele. Die Hilfe werde deswegen nicht mehr als unparteilich und neutral angesehen; dies gefährde die Helfer und die Hilfe selbst. Erst im Mai habe MSF gegen Flugblätter der Koalition protestiert, in denen die Afghanen zur Weitergabe von Informationen über die Taliban oder Al Kaida aufgefordert wurden, wenn sie weiterhin humanitäre Hilfe erhalten wollten.
Ärzte ohne Grenzen hatten nach der sowjetischen Militärintervention 1979/80 ihre Arbeit in Afghanistan aufgenommen und seitdem Millionen von Menschen mit medizinischer Hilfe versorgt. Zuletzt war die Organisation in 13 Provinzen mit 80 Ausländern und 1400 Afghanen im Einsatz. Ihre Hilfsprogramme unter anderem zur allgemein-medizinischen Versorgung, zur Verbesserung der Frauengesundheit sowie zum Kampf gegen Tuberkulose sollen nun in den kommenden Wochen an das Gesundheitsministerium in Kabul sowie andere Organisationen übergeben werden.
Bei neuen Gefechten im Süden Afghanistans sind am Dienstag vier mutmaßliche Taliban-Kämpfer getötet worden. Zwei Soldaten der von den USA geführten Koalitionstruppen wurden verwundet und in ein Lazarett in Kandahar gebracht, wie die US-Streitkräfte mitteilten. Für die Präsidentenwahl am 9. Oktober haben sich bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist am Montagabend 23 Kandidaten registrieren lassen. Im Hinblick auf die geplante Wahl will die NATO ihre Truppenpräsenz in Afghanistan verstärken. Sie entspricht damit einem Ersuchen von Präsident Hamid Karzai, der sich bei der Wahl durch den Kriegsherrn General Abdul Rashid Dostum herausgefordert sieht.
Wegen der schlechten Sicherheitslage hatten die US-Streitkräfte eine neue Offensive vor der Präsidentenwahl angekündigt. Anhänger des durch die US-Invasion im Jahr 2001 gestürzten Taliban-Regimes haben gedroht, die Wahlen mit Anschlägen zu verhindern. Sie haben systematische Wahlsabotage angekündigt und ihre Landsleute, die von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen sollten, mit dem Tod bedroht. Eine Wahlregistrierung sei gleichbedeutend mit Versklavung durch die USA, hatten die Taliban erklärt. Trotz zahlreichen US-Operationen hat sich die Sicherheitslage in den vergangenen Monaten deutlich verschlechtert.