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Irak: Bevölkerung leidet unter Machtvakuum

Das blutige Chaos in der irakischen Pilgerstadt Najaf ist ein neuer Beweis für das Machtvakuum und die Gesetzlosigkeit, die im Irak seit dem Sturz des Regimes von Diktator Saddam Hussein herrschen.

Denn in Ermangelung einer legitimen Autorität, die von allen Seiten anerkannt wird, liefern sich die verschiedenen Interessengruppen rund um die Imam-Ali-Moschee in der heiligen Stadt der Schiiten einen Machtkampf, unter dem letztlich wieder einmal die irakische Bevölkerung leidet.

Da ist zum einen die Übergangsregierung unter Ministerpräsident Iyad Allawi, die ihre zum Teil mehr als unwilligen Sicherheitskräfte in Najaf gegen die Schiitenmilizionäre der „Mahdi-Armee“ in Stellung gebracht hat und den radikalen Prediger Moktada al Sadr mit immer neuen Forderungen in die Knie zwingen will. Allawi, den die Bevölkerung für die Rechtlosigkeit, die schlechte Versorgungslage und die Arbeitslosigkeit mit verantwortlich macht, braucht dringend Erfolge. „Die irakische Regierung wird keine weiteren Manöver tolerieren, mit denen (Sadr) nur Zeit schinden will“, sagte er am Sonntag in gewohnt unnachgiebigem Ton im Organ seiner Partei der Nationalen Eintracht (INA).

Als zweite Konfliktpartei mischen die USA in Najaf mit, die ihre Soldaten nur ungern wieder abziehen würden, ohne dass Sadrs Milizionäre entwaffnet sind. Denn der junge Prediger hetzt fromme Schiiten gegen die Amerikaner und andere Angehörige der multinationalen Truppen auf, die in seinen Augen heute noch genauso Besatzer sind wie vor der formalen Machtübergabe Anfang Juni. Sadr selbst will seine Anhängerschaft vergrößern, indem er sich in Najaf als Verteidiger der heiligen Stätten „gegen die Ungläubigen“ präsentiert. Außerdem versucht er, sich durch eine Vereinbarung mit dem religiösen Establishment unter Großayatollah Ali al Sistani endlich einen Platz unter den anerkannten schiitischen Religionsgelehrten zu erstreiten, was auch finanzielle Vorteil brächte.

Großayatollah Sistani und die anderen Religionsgelehrten, die Sadr aus Rücksicht auf seine „Märtyrervorfahren“ bisher noch nicht offen angegriffen haben, stecken nun in der Zwickmühle. Gern machen sie nicht gemeinsame Sache mit der Sadr-Bewegung, doch eine neue innerschiitische Front wollen sie auf keinen Fall eröffnen. Außerdem hat Sistani oft betont, dass er seinen Abstand zum politischen Geschehen wahren will. Denn wer sich im Irak der Post-Saddam-Ära einmal in die Untiefen der Politik begeben hat, multipliziert rasch die Zahl seiner Feinde und verliert oft noch schneller an Glaubwürdigkeit.

Sollten sich die Sistani- und die Sadr-Anhänger im Schatten der Gefechte in den nächsten Tagen aber doch noch auf die Modalitäten einigen, wie die Übergabe der Kontrolle über den heiligen Schrein und die darin vermuteten Schätze genau ablaufen soll, ist immer noch nicht klar, ob dies ein Ende der Kämpfe bedeuten würde. Zwar wissen die US-Marineinfanteristen, dass sie die Milizionäre der „Mahdi-Armee“, um einen Sturm schiitischer Empörung zu vermeiden, nicht direkt in der Imam-Ali-Moschee angreifen können. Ob sie aber zulassen würden, dass sich die zum Großteil mit weiten Hosen bekleideten Kämpfer unauffällig absetzen und in den staubigen, verwinkelten Gassen der Altstadt um die Moschee untertauchen, bleibt abzuwarten.

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