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Afghanen stimmen begeistert ab

„Das war der glücklichste Tag in meinem Leben“, ruft der 30-jährige Abdul Nabi. Er gibt in Kandahar, der einstigen Taliban-Hochburg im Südosten von Afghanistans, seine Stimme ab. Volksfest mit ungewissem Ausgang - Nach Kandidaten-Protesten droht dem Land aber Instabilität.

„Jetzt lassen wir die Gewalt hinter uns.“ Nach Jahrzehnten des Kriegs kann er wie Millionen seiner Landsleute erstmals frei seinen Präsidenten wählen. Kein größerer Anschlag der radikalen Kämpfer im Land stört das Volksfest am Wahltag. Und doch ist nach der Abstimmung die politische Lage so labil wie lange nicht mehr in Afghanistan: 14 Kandidaten wollen die Wahl nicht akzeptieren. Sie monieren Betrug und Schlamperei in den Wahlbüros – und könnten den neuen Präsidenten von vornherein um die Autorität bringen, die ihm durch die Wahlen zuwachsen sollte.

Der Schock kam nur wenige Stunden, nachdem die Wahllokale im Land geöffnet hatten. „Wir haben ganz klare Eingriffe in den Wahlvorgang festgestellt“, sagte Kandidat Abdul Satar Sirat im Namen seiner Mitbewerber. Die Wahl müsse annulliert werden, fügte er im Namen der 14er-Gruppe hinzu, zu der auch Ex-Bildungsminister Yunis Kanuni gehört, ernstester Herausforderer von Amtsinhaber Hamid Karzai. Ihre Vowürfe: Viele Wähler verfügten über mehrere Wahlscheine, und Wahlhelfer hätten zur Wahl Karsais gedrängt. Vor allem aber habe die Idee nicht funktioniert, mehrfache Stimmabgaben durch einen wasserfesten Tintenpunkt auf dem Daumennagel oder dem Finger jedes Wählers zu verhindern. In vielen Wahlbüros habe die Flüssigkeit leicht abgeschrubbt werden können.

Eine Sondersitzung der Wahlkommission wird schnell einberufen. Sie beschließt, die Abstimmung fortzusetzen. Auch internationale Wahlbeobachter erklären die Wahl für rechtmäßig. Für den Leiter des Wahlbeobachterteams der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Robert Barry, geht es nicht in erster Linie um abwaschbare Tinte. „Die Millionen, die zu den Urnen kamen, stimmten ganz klar für den Wechsel vom Primat der Waffen zum Primat des Gesetzes“, sagt er.

Und denkt dabei an Szenen wie die im westafghanischen Herat. Dort hatte der 55-jährige Gholam Reza schon um fünf Uhr morgens aufgeregt vor seinem Wahllokal gesessen. „Ich bin so zufrieden, dass ich die ganze Nacht nicht geschlafen habe“, sagt er. Als das Büro zwei Stunden später öffnet, stehen schon rund 200 weitere Wähler neben ihm. Als es losgeht, läuft Reza lachend in das Wahllokal.

In Kandahar ist das Bild ähnlich. Auf der Seite der weiblichen Wählerinnen – für Männer und Frauen gibt es getrennte Schlangen – leuchten blaue, grüne und lilafarbene Burkas. Einige Frauen tragen ihre Kleinkinder auf dem Arm. Die 45-jährige Rahgul ist mit elf weiteren weiblichen Familienmitgliedern gekommen: „Unser Vater hat gesagt, wir sollten früh kommen“, sagt sie.

Den ganzen Tag über kommt es zu keinem Anschlag von Taliban-Anhängern oder El-Kaida-Kämpfern, nachdem vor der Wahl noch eine Terrorwelle befürchtet worden war. „Das afghanische Volk hat gezeigt, dass der Terrorismus in diesem Land besiegt und vorbei ist“, sagt Karzai später. Doch seine Worte wirken wenig überzeugend in einer Situation, da weiter unklar ist, ob die friedliche Wahl überhaupt Bestand haben wird. Ein ranghoher Wahlbeobachter, der nicht genannt werden will, ist jedenfalls beunruhigt. „Das kann sicher große Verwirrung bei den Menschen stiften“, sagte er. „Vor allen bei Wählern, für die schon der Wahlprozess verwirrend war.“ Der Appell der 14 könne die Instabilität im Land wieder vergrößern, fürchtet er.

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