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Chinas Wahrzeichen bröckelt

Viele Steine der historischen Chinesischen Mauer stecken inzwischen in Wohnhäusern, Schulen und Straßen. Jahrelang haben sich Bauern und Bauunternehmer an Chinas Wahrzeichen bedient, um Materialkosten zu sparen.

Vielerorts treten die Chinesen so ihr mehr als 2000 Jahre altes kulturelles Erbe wörtlich mit Füßen. „Es ist so schlimm geworden, wir wissen nicht, wie lang die Mauer noch ist, was zur Mauer gehört und was nicht“, sagt der Sprecher der staatlichen Verwaltung für kulturelles Erbe, He Shuzhong.

Auch der zunehmende Tourismus führt nicht zu mehr Verantwortungsbewusstsein, sondern eher zu künstlichen Wiederaufbauten von Teilstücken. Nur langsam beginnt sich die Regierung in Peking für die 1987 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärte Große Mauer zu interessieren.

„Viele Stücke fehlen. Viele Abschnitte haben sich in den vergangenen zehn Jahren vom Aussehen her stark verändert“, beklagt He Shuzhong. Weniger als 2.500 Kilometer sind von der ehemals 6.300 Kilometer langen Mauer noch übrig. Lange Zeit hatte China sich damit gebrüstet, die Mauer sei das einzige von Menschenhand geschaffene Bauwerk, das sogar aus dem Weltall zu sehen sei – bis 2003 der erste chinesische Astronaut, Yang Lewei, ins All flog und berichtete, er habe die Mauer nicht erkennen können.

Ein chinesischer UNESCO-Vertreter wirft seinem Heimatland „schlechtes Management“ vor. Keine eigene Behörde sei für das Wahrzeichen zuständig. Lokale Ämter haben mit Blick auf ihren Teil der Mauer nahezu Handlungsfreiheit – und setzen mehr auf Vermarktung als auf Bewahrung. Im Haupttouristenort Badaling, nordwestlich der Hauptstadt Peking, locken wieder aufgebaute Wandstücke neben Verkaufsständen mit Wasserflaschen und Nudeln zwar jedes Jahr rund fünf Millionen Besucher an. Doch nicht alle sind begeistert. „Es ist schrecklich“, sagt die dänische Touristin Trine Maria Hoy. „Es war sehr künstlich.“

Die vom Tourismus lebenden Händler sehen dies anders. Ticketverkäuferin Sun Lijie sagt: „Wenn wir nicht genug Restaurants haben, wo sollen die Touristen dann essen?“ Außerdem ist die seit 16 Jahren in Badaling arbeitende Frau der Meinung, dass Besucher keine „alten zerbröckelten Steine“ sehen wollten, „auch wenn sie echt sind“. Mit dem Bau der sich durch neun Provinzen ziehenden Mauer war in der Zeit der Qin-Dynastie (221-206) begonnen worden. Während der Ming-Dynastie (1368-1644) wurde sie als Schutzwall wiederaufgebaut.

Angesichts des drohenden Verfalls der Weltkulturerbestätte und lauter werdenden Rufen von Denkmalschützern wird Chinas Regierung allmählich doch aufmerksam. Noch in diesem Jahr will sie erstmals Gesetze zum Schutz der Großen Mauer erlassen. Im vergangenen Jahr wurde zwar ein Unternehmer, der für den Bau einer Straße Steine aus der Mauer genommen hatte, zu einer Geldstrafe verurteilt. Die örtliche Regierung, die dem Projekt zugestimmt hatte, wurde dagegen nicht belangt. Nichtregierungsorganisationen schlagen vor, Bauern großzügig dafür zu bezahlen, dass sie nahe ihrem Land gelegene Mauerabschnitte bewachen.

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