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Befreiung von Auschwitz

Überlebende der NS-Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau haben am Donnerstag gemeinsam mit Spitzenpolitikern aus aller Welt in Polen der Befreiung der Konzentrationslager vor 60 Jahren gedacht.

„Ich möchte den Menschen in aller Welt sagen: Dies darf niemals wieder geschehen“, sagte Anatoli Schapiro, Kommandant der sowjetischen Truppen, die am 27. Jänner 1945 als erste Auschwitz erreichten. „Ich sah die Gesichter der Menschen, die wir befreiten – diese Menschen waren durch die Hölle gegangen“, sagte Schapiro in einer aus den USA übertragenen Videobotschaft an die Besucher der Gedenkveranstaltung im polnischen Krakau (Krakow) gewandt.

In Auschwitz und Birkenau kamen nach Schätzungen von Historikern bis zu 1,5 Millionen Menschen ums Leben, in der Mehrzahl Juden, aber auch viele Polen, Sinti und Roma, Homosexuelle und andere Verfolgte des NS-Regimes. Etwa 85 Prozent der damals in Polen lebenden Juden – rund 2,8 Millionen Menschen – wurden in den NS-Todeslagern getötet. Als die Soldaten der Roten Armee am 27. Jänner 1945 in Auschwitz eintrafen und sich die Tore für die Überlebenden öffneten, sahen sich die Befreier rund 7.000 von Hunger und Kälte bis auf die Knochen ausgezehrten Häftlingen gegenüber.

„Der Schnee fiel damals wie heute, wir waren in der gestreiften Häftlingskleidung, und einige von uns waren barfuߓ, berichtete der 84-jährige Kazimierz Orlowski, einer der Überlebenden und befreiten Opfer des NS-Terrors in Krakau.

70 Kilometer von Krakau entfernt liegt die heutige Gedenkstätte Oswiecim (Auschwitz), wo sich am Nachmittag Staats- und Regierungschefs aus 44 Ländern an den Gedenkfeierlichkeiten beteiligen wollten. Österreich wird durch Bundespräsident Heinz Fischer vertreten sein. „Diese Gedenkfeiern sollen das Wissen um Auschwitz so weit wie möglich in alle Welt verbreiten und die Wahrheit über die Lager der jüngeren Generation vermitteln“, sagte der polnische Präsident Aleksander Kwasniewski vor der Feier im Rundfunk.

Israels Präsident Moshe Katzav erneuerte in Krakau den Vorwurf, eine Bombardierung der nach Auschwitz führenden Eisenbahnlinien, die damals trotz Wissens der Alliierten um die Todeslager unterblieb, hätte viele Menschenleben retten können. „Die Alliierten haben nicht genug getan, um den Holocaust, die Vernichtung des jüdischen Volkes, zu stoppen. Die Alliierten wussten von der Vernichtung der Juden Europas, aber die Alliierten haben keine Initiative ergriffen, um die Vernichtung des europäischen Judentums zu verhindern“, sagte Katzav. Der Holocaust sei deshalb nicht nur allein eine Tragödie des jüdischen Volkes: „Er ist ein Versagen der Menschheit insgesamt.“

US-Vizepräsident Richard Cheney sagte: „Die Geschichte dieser Lager mahnt uns, dass das Böse real ist und beim Namen genannt und bekämpft werden muss. Wir werden erinnert daran, dass der Antisemitismus mit Worten beginnt, aber kaum dabei stehen bleibt, und dieser Botschaft der Intoleranz und des Hasses begegnet werden muss, bevor sie sich zu Taten des Schreckens wandelt.“ Der russische Präsident Wladimir Putin warnte vor einem Wiedererstarken des Antisemitismus. Auch in Russland gebe es solche Tendenzen, und er schäme sich dafür.

Der französische Präsident Jacques Chirac bekannte sich erneut zur Mitverantwortung Frankreichs für die Deportation französischer Juden in NS-Konzentrationslager. Die Erinnerung an die jüdischen Deportierten bedeute für Frankreich „mehr als einen Schmerz“. Sie bedeute auch „das Bewusstsein eines Fehlers“ und eine Verantwortung, sagte Chirac bei der Eröffnung einer neuen Ausstellung in der Gedenkstätte von Auschwitz-Birkenau. Chirac hatte 1995 als erster französischer Staatschef die Mitverantwortung Frankreichs an der Judendeportation eingeräumt und von einer „unauslöschlichen Schuld“ gesprochen.

Mit einer Schweigeminute gedachte das Europäische Parlament in Brüssel am Donnerstag der Opfer des nationalsozialistischen Vernichtungslagers. „Wir müssen in unserer Erinnerung immer den Kampf gegen das Vergessen aufrechterhalten“, sagte EU-Parlamentspräsident Josep Borrell. „Die Völker, die ihre Geschichte vergessen, sind dazu verdammt, sie zu wiederholen. Der Holocaust ist ein Problem der ganzen Menschheit, nicht nur der Nazis und ihrer Opfer.“

In Berlin hatte in der Früh auch im Deutschen Bundestag eine Gedenkstunde zur Befreiung von Auschwitz stattgefunden. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse rief zum politischen und zivilen Kampf gegen den Rechtsextremismus auf. Im Hinblick auf das Verhalten der rechtsextremistischen NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) im Landtag des deutschen Bundeslandes Sachsen in der Vorwoche sagte Thierse: „Die Abgeordneten der NPD in Dresden haben ihre Maske fallen lassen, und es ist für jeden sichtbar: Es sitzen wieder Neonazis in einem deutschen Parlament. Das ist eine Schande.“ NPD-Abgeordnete hatten die Verbrechen des Holocaust mit der Zerstörung Dresdens durch die Alliierten im Februar 1945 gleichgesetzt und von einem „Bomben-Holocaust“ der Alliierten gesprochen.

Kwasniewski: „Hier war die Hölle auf Erden“

60 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz hat der polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski Auschwitz als eines der schrecklichsten Kapitel der Geschichte bezeichnet. Auf der zentralen Gedenkfeier zum Jahrestag der Befreiung des größten deutschen Vernichtungslagers durch Soldaten der damaligen Sowjetarmee auf dem Lagergelände von Birkenau nannte er das Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen überwältigend. „Aber wir müssen sprechen, erinnern, herausschreien: Hier war die Hölle auf Erden.“

Ehemalige Häftlinge von Auschwitz-Birkenau riefen zu Wachsamkeit gegen Antisemitismus und Rassismus auf. Mehrere Redner nannten während der bewegenden Feier, an der auch Veteranen der Roten Armee und Staats- und Regierungschefs aus 46 Staaten teilnahmen, einen riesigen europäischen Friedhof, der die Asche von bis zu 1,5 Millionen Menschen aus 25 Ländern enthalte. Zum Auftakt der Feier war das Geräusch eines einfahrenden Zuges zur Erinnerung an die vielen Todestransporte in das Lager zu hören. An den Gleise und der Todesrampe waren Kerzen und Fackeln zu sehen.

Der israelische Staatspräsident Moshe Katzav nannte Auschwitz- Birkenau den „schrecklichsten Ort eines Verbrechens in der Menschheitsgeschichte“. Mit Blick auf die Baracken des Lagers, die Ruinen der Krematorien und Gaskammern sagte er: „Es ist, als ob wir noch immer die Schreie der Toten hören können.“ Der russische Staatspräsidenten Wladimir Putin betonte: „Es ist unbegreiflich, dass Menschen zu solchen Gräueltaten in der Lage sind, und doch sehen wir die Bahngleise, die ganze Züge vollgepfercht mit Opfern brachten, und Gaskammern, die in jedem Detail geplant wurden.“

Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma sagte, der Name Auschwitz stehe „symbolhaft für den staatlich organisierten Völkermord an unserer Minderheit im nationalsozialistisch besetzten Europa, dem über eine halbe Million Sinti und Roma zum Opfer fiel“.

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