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Plastikpuppen als Enkel-Ersatz

Japans Spielzeugindustrie hat eine neue Zielgruppe entdeckt: Einsame alte Menschen, die sich nach der Gesellschaft lachender und lärmender Kinder sehnen. Die Lösung: "Yumel", die Plastikpuppe.

Die Tüftler der Branche haben sprechende Puppen in Gestalt kleiner Buben und Mädchen ersonnen, die ihren Besitzern einfühlsame Worte zuhauchen und sich zärtlich drücken lassen. Der Plastik-Gefährte „Yumel“ etwa kennt immerhin 1.200 Wörter. Innerhalb von drei Monaten gingen in Japan rund 8.000 dieser künstlichen Enkel über den Ladentisch.

Die Industrie folgt einem einfachen Kalkül: „Die Spielzeug-Macher haben es auf ältere Menschen abgesehen, weil es immer weniger Kinder in Japan gibt“, sagt Osamu Kiriseko von der Firma Tomy, die „Yumel“ entwickelte. In der Tat gehört Japan zu den Ländern mit der niedrigsten Geburtenrate weltweit. Zugleich vergreist der Inselstaat zunehmend: Mehr als 23.000 Japaner sind älter als 100 Jahre.

„Yumel“, der 8.500 Yen (knapp 61 Euro) kostet, soll seinen Besitzern vor allem nachts als Bettnachbar Gesellschaft leisten – deshalb hat der kleine Bub aus Plastik ein verschlafenes Gesicht. Das Kunstbaby kann per Knopfdruck in den Schlaf befördert werden. Und bevor der Kleine sanft entschlummert, haucht er noch: „Ich fühl mich so gut. Guuute Naacht!“ Wann „Yumel“ morgens aufwachen soll, lässt sich am Vorabend programmieren. Pünktlich öffnet die 37 Zentimeter große Puppe – gesteuert von mehrerer Sensoren und einem Computer-Chip – dann die Augen und wünscht „Guten Morgen“.

„Yumel“ – der Name leitet sich vom japanischen Wort für „Traum“ ab – achtet außerdem streng darauf, dass seine „Eltern“ ein geordnetes Leben führen. Gönnt sich sein Eigentümer zu wenig Schlaf, fragt „Yumel“ mahnend: „Strengst Du Dich nicht zu sehr an?“ So lange der Lebensrhythmus im Haus dagegen regelmäßig ist, bleibt „Yumel“ gut gelaunt und singt vergnügt.

Osamu Kiriseko von der Firma Tomy ist sich sicher, dass der Kunst-Sprössling ein besserer Gefährte ist als jedes Haustier. Viele alte Hunde- und Katzen-Besitzer machten sich beispielsweise Sorgen, was nach ihrem Tod mit den Tieren geschehen solle. Mit „Yumel“, dem Plastik-Enkel, stelle sich diese Frage freilich nicht.

Die Kunden sind mit „Yumel“ vollauf zufrieden. Bei der Herstellerfirma Tomy gingen bereits mehrere hundert Briefe ein, in denen sich Käufer für die Erfindung bedanken. Eine 82-jährige Frau schreibt etwa: „Danke für dieses herzerwärmende Baby. Jetzt bin ich nicht mehr allein.“ Eine andere Dame berichtet, sie erziehe die Puppe „wie mein eigenes Kind“.

Irritierend für manche Kunden seien dagegen die typischen Kinderfragen, die „Yumel“ gerne stellt, sagt Kiriseko. So frage die Puppe gelegentlich ganz unvermittelt: „Warum haben Elefanten so lange Nasen?“. Die Besitzer wüssten dann gar nicht, was sie zu antworten hätten. Um künftige Verwirrung zu vermeiden, stellt die neu entwickelte „Yumel“-Version deshalb keine Fragen mehr, sondern stellt fest: „Wie interessant, dass Elefanten so lange Nasen haben.“

Bereits seit 1999 ist das Unternehmen Bandai mit seinem Puppenmodell „Primopuel“ auf dem Markt. „Primopuel“ ist ein etwa fünfjähriger Knirps, der gestreichelt und unterhalten werden will. Mit der Puppe – bei Kindern und älteren Menschen gleichermaßen ein Hit – hat der Hersteller bisher rund eine Million Dollar umgesetzt.

Fünf Jahre nach der Erfindung „Primopuels“ trafen sich sich seine Anhänger im November in einem Tokioter Vergnügungspark: Vor einem Schrein feierten sie eine religiöse Zeremonie – das gleiche Ritual, das japanische Eltern traditionell zum fünften Geburtstag ihrer Kinder feiern.

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