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Vatikan: Bildung zweier Lager zeichnet sich ab

Im Hinblick auf das am kommenden Montag beginnende Papstwahl-Konklave zeichnen sich erste Entwicklungen ab. Wenn man den Vatikan-Insidern Glauben schenken will, gibt es zwei "Lager" unter den Kardinälen.

Symbolgestalt der „Konservativen“ ist demnach der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger, der am Samstag 78 wird, Symbolgestalt der „Progressiven“ der Mailänder Alterzbischof, Kardinal Carlo Maria Martini, der im Februar 78 geworden ist.

Beide würden das höchste Amt in der katholischen Kirchenhierarchie eigentlich nicht anstreben, heißt es, wenngleich Ratzinger ein echter „papabile“ sei, während der Gesundheitszustand Martinis eindeutig chancenmindernd sei. Aber sie beide hätten sich bereit erklärt, bei den ersten Wahlgängen zu „kandidieren“, um eine Bestimmung der numerischen Stärke der beiden „Lager“ zu ermöglichen, heißt es. Erst danach würden sich die „echten“ Kandidaten der Wahl stellen.

In der Zeitung „Corriere della Sera“ bezeichnete der „Vaticanisti“ Luigi Accattoli die beiden großen Kardinäle als Personifizierung der beiden „Seelen“ des Pontifikats von Johannes Paul II.: Ratzinger stehe für die Strenge der Lehre und die Verbundenheit mit der Tradition, Martini für die Überwindung der Mauern und die evangelische Radikalität. Der Name Martinis sei deshalb ins Spiel gekommen, weil eine große Gruppe von Kardinälen vermeiden möchte, dass in Zukunft die Ratzinger-Linie ohne das „Korrektiv“ des kreativen Aspekts in der Persönlichkeit Johannes Pauls II., der etwa bei den ersten Besuchen eines Papstes in einer Synagoge und in einer Moschee zum Ausdruck kam, zum Tragen kommt.

Darüber hinaus scheint auch die Stellungnahme Martinis in der Generalkongregation am vorigen Montag Eindruck gemacht zu haben. Der Mailänder Alterzbischof, der heute zumeist in Jerusalem lebt, dürfte dort jenes Fünf-Punkte-Programm vorgelegt haben, das er im kleinen Kreis schon in den letzten eineinhalb Jahren immer wieder skizziert hatte: Neuverkündigung des Evangeliums, Ökumenismus, Option für die Armen, Einsatz für den Frieden, innerkirchliche Reformen, vor allem im Hinblick auf die Kollegialität der Bischöfe und auf das Gespräch über die Themen Familie und Sexualität.

Was die Kollegialität angeht, hat Martini oft zu verstehen gegeben, dass neue Instrumente der Beteiligung an der Kirchenleitung notwendig sind; die Weltbischofssynode, derzeit ein reines Beratungsorgan, genüge nicht, meint er. Hinsichtlich Familie und Sexualität müsse eine neue Sprache gesucht werden, die die Herzen der Menschen von heute erreicht.

Beobachter verweisen darauf, dass auch Ratzinger jüngst einen sehr bewussten Akzent gesetzt hat, als er beim Kondolenzbesuch des Diplomatischen Corps am Mittwoch in seiner Dankrede als Kardinal-Dekan zwei Herzensthemen des verstorbenen Papstes ansprach: das Zweite Vatikanische Konzil und den Frieden. In seiner Predigt beim Begräbnis Johannes Pauls waren sie nicht angeklungen. Hinsichtlich des Friedens verwies Ratzinger darauf, dass die Friedensbemühungen Johannes Pauls II. „für uns alle ein Appell sind, uns immer mehr in den Dienst des Friedens und der Solidarität zwischen den Menschen und den Völkern zu stellen“.

Buchmacher sieht Ratzinger und Lustiger als Favoriten

Die meisten Glücksspieler setzen bei der Papst-Nachfolge offenbar auf den deutschen Kardinal Joseph Ratzinger und seinen französischen Kollegen Jean-Marie Lustiger. Der irische Buchmacher Paddy Power, bei dem bisher 7.000 Wetten auf die Nachfolge von Johannes Paul II. im Gesamtwert von 150.000 Euro eingegangen sind, teilte am Donnerstag mit, die beiden Kardinäle würden derzeit an der Spitze der Tipp-Liste stehen.

Für Ratzinger, der schon seit einiger Zeit als Favorit im Rennen ist, stünden die Wettquoten aktuell bei 4:1. Nachdem italienische Medien am Mittwoch berichtet hatten, dass etwa 50 der 115 wahlberechtigten Kardinäle Ratzinger unterstützten, sei die Zahl der Wetten auf den Deutschen nochmals angestiegen. Ratzinger ist Präfekt der Glaubenskongregation und wird am Samstag 78 Jahre alt.

Die Quoten für Lustiger, der vor zwei Wochen noch mit 20:1 gehandelt worden sei, würden inzwischen bei 10:1 liegen, hieß es. Vor allem in den vergangenen Tagen hätten die Spieler verstärkt auf den Franzosen gesetzt, sagte ein Sprecher von Paddy Power. Der größte Wett-Einsatz habe 1.500 Euro bei einer Quote von 10:1 betragen. Der 78-Jährige Lustiger ist Erzbischof von Paris und der einzige jüdisch-stämmige katholische Prälat der Gegenwart. Wie Ratzinger zählt er zu den eher konservativen Kardinälen, die in der Tradition des verstorbenen Papstes Johannes Paul II. stehen.

In der Gunst der Spieler sanken dagegen die Chancen des nigerianischen Kurienkardinals Francis Arinze, der vom zweiten auf den fünften Platz rutschte. Die Kardinäle treten am kommenden Montag zur Papstwahl zusammen. Gewählt ist, wer zwei Drittel der Stimmen auf sich vereinigen kann.

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