AA

GB: Für Blair lebt EU-Verfassung noch

Der britische Premierminister Tony Blair sieht weiter Chancen für die Ratifizierung der EU-Verfassung, obwohl seine Regierung vorläufig das Referendum abgeblasen hat.

Nach dem britischen Verzicht auf ein konkretes Datum für ein Referendum erklärte Blair am Dienstag in einem Interview mit der „Financial Times“: „Die Verfassung stellt einen absolut vernünftigen Schritt nach vorn dar.“ Die EU werde irgendwann Regeln für die Zukunft Europas festlegen müssen. „Falls sie das nicht tut, wird sie nicht ordentlich funktionieren“, sagte der britische Regierungschef, der mit Jahresmitte die EU-Ratspräsidentschaft für das nächste Halbjahr übernimmt, gegenüber der Zeitung.

Diplomaten befürchten jetzt schon, das die transatlantisch orientierten Briten – Blair hält sich gerade zu Gesprächen mit der US-Regierung in Washington auf – ihre EU-Präsidentschaft „durchsitzen“ werden. Mit Jahresende wird dann Österreich das EU-Ruder übernehmen. Blairs Labour-Regierung hatte Pläne für eine Volksabstimmung am Montag mit Hinweis auf das Nein bei den Volksbefragungen in Frankreich und in den Niederlanden zur Verfassung auf unbestimmte Zeit verschoben.

Mehr Klarheit in der EU

Zuvor war das Referendum in Großbritannien für das Frühjahr 2006 erwartet worden. Vor einer endgültigen Entscheidung über die Verfassung müsse in der EU vor allem mehr Klarheit geschaffen werden, hatte Außenminister Jack Straw gefordert. Derzeit lehnt eine klare Mehrheit der Briten das neue Vertragswerk ab. Blair meinte in dem Interview mit der „Financial Times“, die Angst vieler Franzosen vor einem Sozialstaat nach angelsächsischem Vorbild habe zur Ablehnung der Verfassung beigetragen. Eine Debatte über Wirtschaftsreformen könne diese Ängste mindern.

„Dann werden die Menschen uns erlauben, Europa mit den notwendigen Gesetzen nach vorn zu bringen“, sagte Blair. „Aber wenn wir sagen, wir machen einfach weiter, dann werden die Menschen dagegen rebellieren.“ Blair versicherte, er wolle Europa nicht zur Aufgabe seines Sozialstaats zwingen. „Wir haben ein starkes soziales Modell, aber es muss eines für die Welt von heute sein.“

Wirtschaftsreformen

Blair wandte sich gegen Befürchtungen, dass die Briten in der EU wirtschaftliche Reformvorstellungen durchsetzen wollten, mit denen die soziale Dimension Europas abgebaut werden solle. Andererseits fordert die britische Regierung seit langem Wirtschaftsreformen. Blair hat in der Vergangenheit erklärt, die sozialen Sicherheitssysteme hätten die wirtschaftliche Entwicklung Europas behindert. Im Wettbewerb mit Amerika, China und Indien sei eine Deregulierung dringend notwendig.

Irland bleibt bei seinem Kurs

Der irische Außenminister Dermot Ahern erklärte unterdessen, sein Land werde ungeachtet der Ablehnungen in Frankreich und den Niederlanden das Volk über die Verfassung abstimmen lassen. Er verwies darauf, dass bereits mehr als 50 Prozent der EU-Bevölkerung die Verfassung ratifiziert habe. Diesen Menschen könne man nicht einfach sagen, dass ihr Stimme nichts bedeute, sagte Ahern.

Kritik aus Straßburg

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, kritisierte in Straßburg, die Regierungen in Frankreich und den Niederlanden hätten sich nicht ausreichend oder zu spät für die Verfassung eingesetzt. In Frankreich habe sich die Abstimmung gegen die Regierung und Präsident Jacques Chirac gerichtet. Hätte Chirac gesagt, er werde bei einem Ja zurücktreten, „hätten wir gewonnen“.

Verheugen gegen Glos

EU-Industriekommissar Günter Verheugen griff den CSU-Landesgruppenchef Michael Glos scharf wegen dessen Ablehnung eines möglichen Beitritts der Türkei zur EU an. Verheugen sagte in Brüssel, er halte die Äußerungen des CSU-Bundestagsabgeordneten für unverantwortlich. Die Bemerkungen von Glos könnten die Reformkräfte in der Türkei entmutigen. „Dann wird Herr Glos mitverantwortlich, wenn wir demnächst wieder über Folteropfer in der Türkei zu reden haben“, sagte Verheugen.

Glos hatte nach dem Nein in Frankreich und den Niederlanden erklärt, die von der deutschen Rot-Grün-Regierung durchgesetzte Perspektive für einen EU-Beitritt der Türkei einer der Gründe der Ablehnungen gewesen.

  • VIENNA.AT
  • Chronik
  • GB: Für Blair lebt EU-Verfassung noch
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen