Das Land darf nicht weiter mit der Möglichkeit spielen, in tausend Teile zu zersplittern. Die einzige Lösung für Bolivien ist ein sofortiges Wahlverfahren, sagte Mesa am späten Dienstagabend in einer dramatischen Fernsehansprache. Er hatte am Vortag seinen Rücktritt angeboten. Mesa forderte auch die Präsidenten der beiden Parlamentskammern auf, seinem Beispiel zu folgen, um den Weg für Neuwahlen freizumachen.
Der bolivianische Kongress sollte am Donnerstag jedoch zunächst über das Rücktrittsangebot Mesas beraten. Die Demonstranten fordern, den Energiesektor des Landes zu verstaatlichen. Außerdem fordern sie mehr Einfluss der verarmten Indio-Bevölkerung Boliviens. Bolivien hat die zweitgrößten Gasvorkommen Lateinamerikas.
Trotz Mesas Rücktrittsangebot gingen die Proteste zehntausender aufgebrachter Minenarbeiter und Bauern in der Metropole La Paz und anderen Städten des Landes weiter. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die mit Steinen und Dynamitstäben werfenden Protestierenden auseinanderzutreiben. In La Paz sind inzwischen Brennstoffe und Lebensmittel bereits knapp.
Mesa sieht das Land am Rande eines Bürgerkrieges. Er rief die Demonstranten in seiner Fernsehansprache auf, die Versorgung von La Paz mit Lebensmitteln und Benzin nicht länger zu blockieren. Das kommt von einem Präsidenten, der gerade geht. Das ist ein Aufruf an ein Land am Rande des Bürgerkriegs, betonte er in seinem Appell. Die aufgebrachten Massen hatten in der Stadt El Alto Barrikaden errichtet, um die Wege nach La Paz abzuschneiden. Während Angestellte der Verkehrsbetriebe zum Streik aufriefen, um die Demonstranten zu unterstützen, beklagten Bewohner steigende Preise und ein Engpass von Brot und Fleisch.
Oppositionspolitiker und Kirchenvertreter für Ende der Proteste
Oppositionspolitiker und Kirchenvertreter sprachen sich ebenfalls für ein Ende der Proteste aus, die den ärmsten Staat Südamerikas weitgehend lahm legten. Der Bürgermeister von El Alto berichtete, Familien seien von den Demonstranten sogar davon abgehalten worden, ihre Toten zu beerdigen. In einigen Krankenhäusern wurden nur noch Notfälle behandelt.
Auf Grund der unsicheren Lage in La Paz wurde die zur Beratung über Mesas Rücktritt anberaumte Sitzung des Parlaments vom Regierungssitz in die mehr als 600 Kilometer südlich gelegene Stadt Sucre verlegt. Wir haben jede Anstrengung unternommen und mit allen Parteien gesprochen, um die Sitzung in La Paz abzuhalten, sagte am Dienstag Kongress-Präsident Hormando Vaca Diez, der als ein möglicher Nachfolger Mesas gehandelt wird. Ich habe beschlossen, das Parlament für übermorgen in der Stadt Sucre einzuberufen.
Die Demonstranten in La Paz und anderen Landesteilen fordern die Verstaatlichung der Erdgas-Industrie, damit die Erträge breiten Bevölkerungsschichten zugute kommen. Auch die MAS-Bewegung und andere soziale Gruppen, in denen die verarmten Indios des Anden-Staates besonders stark vertreten sind, forderten die Vorsitzenden beider Parlamentskammern auf, von ihrem Recht zur Übernahme des höchsten Staatsamtes keinen Gebrauch zu machen. Dann könnte der Präsident des Obersten Gerichts, Eduardo Rodriguez, als neuer Staatschef Neuwahlen spätestens binnen einer Frist von sechs Monaten ansetzen.