EU-Parlament hält an Verfassung fest
EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso warnte davor, in Lethargie zu verfallen, und mahnte daher dringend eine politische Lösung beim Gipfel der Regierungschefs nächste Woche ein.
Auch die österreichischen EU-Parlamentarier warnten davor, den Ratifizierungsprozess abzubrechen. Der ÖVP-Abgeordnete Reinhard Rack plädierte dafür, den Ratifizierungsprozess zu unterbrechen und nach einer Nachdenkpause in den 13 Ländern, die noch ausstehen, konzertiert fortzusetzen. Alle an einem Tag sei unrealistisch, aber zumindest in zeitlicher Nähe sollten die Ratifizierungen erfolgen, so Rack.
Othmar Karas, Vizepräsident der Europäischen Volkspartei (EVP), plädierte vor allem für ein Ende der Doppelmoral, mit der bisher die Schuld nach Brüssel abgeschoben worden sei. Politiker sollten künftig zu Hause das verkünden, was sie in Brüssel mitbeschlossen haben, was auch in einem Verhaltenskodex für Innenpolitiker festgeschrieben werden sollte.
Die SP-Delegationsleiterin Maria Berger forderte den Rat auf, über mögliche Änderungen am Verfassungsentwurf zu entscheiden. Das würde nicht nur ermöglichen, bestehende Widersprüche im Text auszuräumen, sondern auch, den Text den Franzosen und den Niederländern neuerlich zur Abstimmung vorzulegen.
Der Grüne Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber erneuerte seine Forderung nach einem neuen Konvent, der einen Nachtrag zur Verfassung, aber auch einen neuen politischen Ansatz liefern könnte. Gleichzeitig verlangte er, dass sich der Rat öffentlich mit der Frage beschäftigen solle. Es dürfe nicht sein, dass die Debatte über die Verfassung wieder in der Krypta der Regierungschefs verschwinde.
Der Fraktionschef der Konservativen im Europaparlament, Hans-Gert Pöttering, warnte vor einer Phase der Orientierungslosigkeit und forderte ein vorläufiges Aussetzen der Volksabstimmungen zur Verfassung in jenen Ländern, die sich noch nicht zu dem Grundgesetz geäußert haben, sowie Konsequenzen für die bevorstehenden Erweiterungen. Auch für den Fraktionsvorsitzenden der Sozialisten, Martin Schulz (SPD), ist die Verfassung noch nicht gestorben: Es gibt keine Golden-Goal-Regel, wonach einer ein Tor schießt und das Spiel ist aus. Es geht weiter. Skeptischer gaben sich die Liberalen. Ihr Vorsitzender Graham Watson sagte, der Vertrag werde in seiner jetzigen Form wohl nicht überleben.
Ratlosigkeit und Durchhalteparolen im EU-Parlament
Martin Schulz brachte es auf den Punkt: Ich will bekennen, dass ich ratlos bin, gestand der Fraktionsvorsitzende der europäischen Sozialisten zur Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden. Sein offenes Geständnis mag am Mittwoch viele Abgeordnete im weiten Rund des Straßburger Europaparlaments überrascht haben. Aber ein Patentkonzept hatte niemand parat.
Die Verfassungskrise hat die Stimmung in der Volksvertretung erheblich verschlechtert. Ratlosigkeit und Durchhalteparolen haben Hochkonjunktur. Es muss weiter gehen, lautete das trotzig klingende Credo der großen Fraktionen.
Auf der Suche nach den Gründen für die Ablehnung der Verfassung gehen die Interpretationen im Europaparlament freilich weit auseinander. Am rechten Rand wird die Angst der Bürger vor einem Superstaat als Ursache für die Europa-Verdrossenheit herangezogen, am linken Rand wird die liberale Wirtschaftspolitik verantwortlich gemacht.
Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, Hans-Gert Pöttering, machte als Grund für die Ablehnung hingegen die Sorge der Bürger vor einer politischen, geographischen und kulturellen Überdehnung der EU aus. Der CDU-Politiker nutzte die Gelegenheit, um wieder einmal für die privilegierte Partnerschaft mit der Türkei zu werben: Es muss deutlich werden, dass die Verhandlungen mit der Türkei (…) zur Mitgliedschaft führen können, aber nicht zwangsläufig, forderte er.
Sein Parteifreund Hartmut Nassauer schlug in dieselbe Kerbe: Es ist der Eindruck entstanden, die EU sei beliebig erweiterbar. Diese Grenzenlosigkeit hat zu Unsicherheit und Unbehagen bei den Menschen geführt und Ablehnung erzeugt. Schulz kritisierte den Ansatz der Konservativen: Wenn Sie die Aussicht auf Erweiterung aufgeben, spielen Sie mit dem Feuer.
In einem waren sich die Parlamentarier aber einig: Die Union hat sich zu weit von den Menschen entfernt. Den Regierungen warfen sie vor, mit ihren nationalen Egoismen eine Teilschuld an der Unzufriedenheit der Bürger mit der EU zu tragen. Man kann nicht hingehen und jeden Erfolg der nationalen Regierung zuschreiben und jeden Misserfolg Brüssel in die Schuhe schieben, sagte Schulz.
Daniel Cohn-Bendit, Ko-Vorsitzender der Grünen, warf den Regierungen vor, politische Versprechen zu machen, aber nicht genügend Mittel zur Verfügung zu stellen. Wenn Europa handlungsfähig sein soll, dann braucht Europa auch die Mittel. Wir sind schon wieder dabei, die Bürger zu belügen, meinte er.
Schröder: Erweiterungsprozess trotz EU-Krise fortführen
Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) tritt dafür ein, gerade mit Blick auf die derzeitige Krise der Gemeinschaft wegen der EU-Verfassung den Erweiterungsprozess fortzuführen. Nach einem Gespräch mit dem mazedonischen Premierminister Vlado Buckovski sagte Schröder, das gelte insbesondere auch für die Länder des westlichen Balkans.
Mazedonien sei ein gutes Beispiel dafür, dass der europäische Integrations- und Erweiterungsprozess nicht in Frage gestellt werden dürfe. Die Stabilität in der Region hänge eng mit dem EU-Erweiterungsprozess zusammen. Wer diese Perspektive in Frage stellt, stellt Stabilität in Frage.
Dies sei aber weder im Sinne Deutschlands noch Europas, sagte der Kanzler. Deshalb unterstütze die Bundesrepublik den Weg Mazedoniens in die NATO und die Europäische Union. Instabilität in Europa ist teurer als die Perspektive der EU-Mitgliedschaft. Die Stationierung von Soldaten verschlinge enorme Summen.
Auch Buckovski forderte, der Prozess der Annäherung seines Landes an EU und NATO müsse weitergehen. Eine europäische Perspektive für die gesamte Region erleichtere auch die Lösung des Kosovo-Problems. Das mehrheitlich von Albanern bewohnte Kosovo steht seit dem Ende des Kriegs 1999 unter UN-Verwaltung. Die albanischen Bewohner streben eine Unabhängigkeit des Kosovos an. Die Regierung in Belgrad beharrt jedoch darauf, dass die Provinz Teil von Serbien-Montenegro ist.