Die mit zehn Millionen Kronen (1,1 Millionen Euro) dotierte Auszeichnung ist im Vorjahr an die Österreicherin Elfriede Jelinek verliehen worden. Pinter habe in seinen Dramen aus der menschlichen Alltagssprache heraus dramatische Situationen geschaffen, die für uns die menschliche Existenz auf eine einzigartige Weise bloßstellen, sagte der Sekretär der Akademie, Horace Engdahl.
Engdahl hat die Vergabe des Literatur-Nobelpreises an Pinter, der am 10. Oktober 75 Jahre alt geworden ist, auch mit dessen literarischer Verarbeitung politischer Probleme begründet: Von einem existenzialistisch begründeten Ausgangspunkt in den fünfziger und sechziger Jahren ist der späte Pinter politischer geworden. Er hat sich immer mehr politisch begründetem Leiden zugewandt.
In der Begründung der Akademie hieß es, dass Pinter in seinen Dramen den Abgrund unter dem alltäglichen Geschwätz freilegt und in den geschlossenen Raum der Unterdrückung einbricht (offizielle Übersetzung). Harold Pinter wird ganz allgemein als hervorragendster Vertreter des englischen Dramas in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eingestuft. Seine Stellung als moderner Klassiker wird dadurch veranschaulicht, dass man aus seinem Namen ein Adjektiv gebildet hat, das eine gewisse Stimmung und ein gewisses Milieu in Theaterstücken beschreibt, nämlich pinteresk.
Wie so gut wie jedes Jahr hat die Verleihung wieder unterschiedlichste Reaktionen hervorgerufen, die von bizarre Wahl (Sigrid Löffler) bis gute, richtige Entscheidung (Marcel Reich-Ranicki) reichten. Dass die Auszeichnung für Pinter zu spät komme, meinte Reich-Ranicki ebenso wie Ewald Mengel, Professor für Anglistik an der Universität Wien und Pinter-Spezialist. Mengel zur APA: Die Auszeichnung meint sicher den Dramatiker Pinter und hätte viel früher kommen müssen. Die jüngeren Werke waren weniger Aufsehen erregend. Der Literaturkritiker Denis Scheck hat die Vergabe an Pinter als Beleidigung der Weltliteratur bezeichnet.
Pinter gilt als der zornige alte Mann des britischen Theaters. Nicht nur als Schriftsteller engagierte sich der aus kleinen Verhältnissen im Londoner East End stammende Sohn eines jüdischen Schneiders gegen Unrecht und Unterdrückung. Vehement attackierte Pinter auch immer wieder die Irak-Politik von US-Präsident George W. Bush und des britischen Premiers Tony Blair.
Pinter veröffentlichte 1950 erste Gedichte und debütierte als Dramatiker 1957 mit dem Einakter Das Zimmer, der in einem ärmlichen Wohnzimmer eines Arbeiterehepaares spielt. Der weltweite Durchbruch gelang ihm mit dem Stück Der Hausmeister (1959), das in Wien zuletzt im Theater in der Josefstadt zu sehen war. Insgesamt hat Pinter 29 Bühnenwerke geschrieben, darunter Die Geburtstagsfeier (1958), Das Treibhaus (1959) und Die Heimkehr (1965), sowie auch immer wieder Regie geführt. Ich glaube, das ist doch eigentlich genug, meinte er in einem Interview. Die großen schriftstellerischen Themen seien ihm inzwischen ausgegangen. Doch Radio-Hörstücke, Drehbücher und kurze Sketche verfasste er auch in jüngerer Zeit.
Seit Ende der 80er Jahre trat der Autor, der 1973 mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur ausgezeichnet wurde, immer mehr mit politischem Engagement ins Rampenlicht. Ob es um die die NATO-Bombardierung Serbiens, den Golf-Krieg oder die Rechte der Kurden ging – er stand bei Demonstrationen oder Eingaben an die Regierung oft in vorderster Reihe. Spätestens nach der Heirat mit seiner zweiten Frau, der Historikerin und Autorin Antonia Fraser, im Jahr 1980 ist der reich gewordene Sozialist auch Liebling der Gesellschaft. Einen ganz persönlichen Kampf führt er seit drei Jahren gegen Kehlkopfkrebs.
Das ORF-Radio Ö1 wird am 10. Dezember, dem Tag der Überreichung der Nobelpreise in Stockholm, in der Hörspiel-Galerie die beiden Pinter-Hörspiele Schweigen und Familienstimmen senden.
Bizarre Wahl oder verdient- Kritiker uneins
Gemischte Reaktionen gab es auf die Vergabe des Literatur-Nobelpreises 2005 an den britischen Dramatiker Harold Pinter. Der Literaturkritiker Denis Scheck hat die Vergabe an Pinter als Beleidigung der Weltliteratur bezeichnet, seine Kollegin Sigrid Löffler als bizarre Wahl. Der tschechische Dramatiker und Ex-Präsident Vaclav Havel empfindet die Vergabe an Pinter hingegen als absolut verdient.
Auch Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki sieht in der Vergabe eine gute, eine richtige Entscheidung. Die Auszeichnung komme für den 75-Jährigen allerdings etwas spät. Pinter sei ein typischer Bühnenautor, der nicht nur bei den Kritikern Erfolg gehabt habe. Sein Werk ist nicht mit dem Rücken zum Publikum geschrieben, sagte Reich-Ranicki am Donnerstag in Frankfurt. Pinters Arbeiten charakterisierten vor allem die Darstellung des Alltags einsamer Individuen und das Bild der Bedrohung dieser Individuen durch irgendwelche nicht ganz klaren mysteriösen Elemente und Mächte.
Man sollte sich überlegen, ob man den Preis nicht umbenennen soll in Auszeichnung für fahrendes Volk und Theater, sagte Scheck am Donnerstag in Köln. Die Jury habe sich blamiert. Es gibt viele große lebende Autoren, die in diesem Jahr wieder leer ausgegangen sind, zu Gunsten politischer Possenreißer wie Dario Fo.
Löffler meinte, Pinter wäre nicht im Entferntesten meine Wahl gewesen, abgesehen davon, dass er démodé (nicht mehr aktuell/aus der Mode) ist.
Prager Kafka-Gesellschaft mit noblem Gespür
Außergewöhnliches Gespür hat die Prager Franz-Kafka-Gesellschaft in den vergangenen zwei Jahren bewiesen: Im April 2004 gab diese bekannt, den Franz-Kafka-Literaturpreis an die spätere Nobelpreisgewinnerin Elfriede Jelinek zu vergeben. Und auch heuer im April tätigten die Tschechen im Frühjahr eine Nobelpreis-verdächtige Wahl: Die mit 10.000 US-Dollar (8.328 Euro) dotierte Auszeichnung wurde dem nunmehrigen Literatur-Nobelpreisträger Harold Pinter zugesprochen.
Ein Blick auf den nächstjährigen Preisträger lohnt sich demnach, wenn auch die Kafka-Gesellschaft 2002 (Ivan Klima) und 2003 (Peter Nadas) ein weniger nobles Händchen hatte.