AA

Israel: Neue Wahlkampfthemen

Ein Rückgang der Gewalt im Nahen Osten und ein Gewerkschaftsführer an der Spitze der Arbeiterpartei haben das Thema für den bevorstehenden Wahlkampf in Israel vorgegeben: Krieg gegen die Armut ist Hauptthema.

Nicht mit Sicherheitspolitik, sondern mit der wirtschaftlichen und sozialen Situation im Land wollen die Politiker bei der vorgezogenen Knesset-Wahl im März punkten. Während der beiden Amtszeiten von Ministerpräsident Ariel Sharon haben Armut und Arbeitslosigkeit zugenommen; seine Finanzminister kürzten Sozialausgaben, privatisierten staatliche Betriebe und unterstützten Massenentlassungen.

Schon vor dem offiziellen Beginn des Wahlkampfs rückte die bisherige Politik der Regierung in den Mittelpunkt der Debatten. Der von Sharon verlassene Likud-Block bemüht sich ganz besonders um eine Distanzierung von der bisherigen Linie – und um potenzielle Wählerstimmen, nachdem in Umfragen die neu gegründete Partei des Regierungschefs vorn liegt. „Vorwärts“ (Kadima) könnte mit der Arbeiterpartei eine Koalition eingehen und die Regierung stellen.

In seiner Familie sei „das Brot dick geschnitten worden und der Aufstrich dünn gewesen“, bemühte sich Verteidigungsminister Shaul Mofaz um eine Solidarisierung mit sozial Benachteiligten. Ex-Finanzminister und Ex-Premier Benjamin Netanyahu, einem der Konkurrenten von Mofaz im Rennen um den Likud-Vorsitz, seien solche Erfahrungen völlig fremd, stichelte er: „Ich glaube, er hat nie Not kennen gelernt“, daher fehle Netanyahu auch Mitgefühl, so Mofaz. Was der Verteidigungsminister dagegen verschwieg: Versuche, das Budget für sein Ressort zu kürzen, wehrte Mofaz vehement ab – und beschwor damit vermehrt Einsparungen Netanyahus im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich herauf.

Netanyahu hat seine Politik bisher als Weg zu sozialer Gerechtigkeit verteidigt. Statt in Sozialhilfe abzurutschen, würden die Menschen zur Arbeit angehalten, erklärte er und bezeichnete seine Kritiker als „Paläo-Sozialisten“ aus grauer Vorzeit. Der jetzige Außenminister Silvan Shalom setzte als Finanzminister enorme Kürzungen im Sozialbereich durch. Jetzt hofft er offenbar, dass seine damalige Amtszeit lang genug her ist, als dass sich die Wähler noch negativ daran erinnern könnten. Eine solche Wirtschaftspolitik müsse ein Ende haben und sei der Linie von Likud nicht angemessen, sagte er bei der Bekanntgabe seiner Kandidatur für den Parteivorsitz: „Das ist schlecht für Israel“. Während einer Konferenz in den vergangenen Tagen wurde Shalom allerdings mehrfach von Kritikern unterbrochen – die Wirtschaftspolitik von Likud hat zu einem Anstieg der Armutsrate auf mehr als 20 Prozent beigetragen. Erst nach einem Eingreifen von Amir Peretz, dem neuen Vorsitzenden der Arbeiterpartei, konnte Shalom seine Rede fortsetzen.

Viele Likud-Wähler haben ein mittleres oder niedrigeres Einkommen „und fühlen sich von der Likud-Politik verletzt“, erklärt Mina Zemach vom Umfrageinstitut Dahaf. Als Sicherheitspolitik an oberster Stelle stand, habe Likud „die sozialen Themen vergessen“. Jetzt bemühe sich die Partei verstärkt um innenpolitische Bereiche. Dennoch rechnen Zemach und andere Experten, dass Likud Stimmen an die Arbeiterpartei verliert. Peretz hatte als Gewerkschaftsführer die Likud-Wirtschaftspolitik mit landesweiten Streiks bekämpft. Nach seiner Wahl zum Vorsitzenden wärmte er das Image der Arbeiterpartei als Anwalt der Unterdrückten auf und lenkte die israelische Tagespolitik weg vom Konflikt mit den Palästinensern zu einem Krieg gegen die Armut. Zwar beteuern Politiker wie Mofaz, Peretz sei „nicht sozialer orientiert als ich“. Aber die Arbeiterpartei vertraut ihren Wählern: „Die Menschen wissen, wer sich sein Leben lang für die Armen eingesetzt hat“, sagte Peretz’ Sprecher Tom Wegner. „Die Menschen werden ihre Entscheidung an der Wahlurne treffen.“

Gruppen, die sich für sozial Benachteiligte einsetzen, begrüßten die Bedeutung, die soziale Themen jetzt wieder haben. „Wir fragen uns, wo die Minister Shalom und Mofaz waren, als Benjamin Netanyahu seine Verfügungen traf, die die Situation der Armen in Israel verschlechterte, und für manche Armut verordnete, die nicht arm waren“, kritisierte Noga Eitan vom Community Advocacy Program in Jerusalem. Shalom selbst habe eine Mitverantwortung zu tragen. Es sei jedoch ermutigend, dass „die sozialen Themen und Alternativen zu einem Neandertal-Kapitalismus, den die meisten Likud-Minister auf die eine oder andere Weise unterstützten, jetzt auf der Agenda stehen“, erklärte Eitan weiter.

Auch wenn sich die Kritik an der Regierung Sharon vor allem gegen Netanyahu richtet, hat auch das politische Lager des Regierungschefs erkannt, wohin die Reise im Wahlkampf geht. Schon wenige Stunden nachdem Peretz zum Parteivorsitzenden gewählt wurde und die Umfragewerte der Arbeiterpartei stiegen, proklamierte Sharon einen „Krieg gegen die Armut“.

  • VIENNA.AT
  • Chronik
  • Israel: Neue Wahlkampfthemen
  • Kommentare
    Die Kommentarfunktion ist für diesen Artikel deaktiviert.