Kanada räumt mit Vergangenheit auf
Beispiel Hobbema: Das Zentrum von vier Indianer-Reservaten südlich von Edmonton (Provinz Alberta) hat eine Arbeitslosenrate von mehr als 80 Prozent.
Gangs mit dem Namen Indian Posse und Red Alert benutzen schon Zehnjährige als Verkäufer von Kokain und Crack. Schwere Schlägereien und Schüsse aus vorbeifahrenden Autos gehören zur Tagesordnung. Die Selbstmordrate besonders unter Jugendlichen ist hoch.
Kanada duldet Dritte-Welt-Zustände in seinem Vorgarten…, sagt Phil Fontaine, das Oberhaupt der Assembly of First Nations, wie eine der führenden Verbände kanadischer Ureinwohner heißt. Aus Fontaines Sicht ist das Elend von Urvölkern wie den Métis und den Inuit (Eskimos) eine nationale Tragödie und ein Schandfleck für die internationale Gemeinschaft. Das gilt aber nicht nur für die Reservate in abseits gelegenen Landstrichen Kanadas. Wer in die Stadt zieht, ist kaum besser dran. Weit verbreitete Vorurteile unter Vermietern und Arbeitgebern halten Indianer auch in Vancouver, Calgary oder Toronto am Rand der Gesellschaft gefangen.
Gewalt, Selbstmord und soziale Not: Willkommen in unseren Reservaten, titelte die Globe and Mail diese Woche zum Auftakt eines historischen Treffens in Kelowna (Provinz British Columbia). Dort schlossen Ministerpräsident Paul Martin, die 13 kanadischen Provinzen und Territorien sowie fünf Organisationen der Ureinwohner in der Nacht zum Samstag einen Pakt. Er soll Armut und Krankheit in den Reservaten radikal bekämpfen und die Kluft zwischen Eingeborenen und Hinzugezogenen in dem nordamerikanischen Industrieland endlich überbrücken. Das beispielloses Hilfspaket beläuft sich über 5,1 Milliarden Dollar (3,7 Milliarden Euro).
Schon zuvor hatte Martin über eine finanzielle Wiedergutmachung für 100.000 mittlerweile betagte Indianer mit der Vergangenheit aufzuräumen versucht. Zu Beginn des Kelowna-Gipfeltreffens versprach er jenen Ureinwohnern, die als Kinder gewaltsam aus den Familien gerissen und in christliche Internate fern ihrer Heimat gesteckt worden waren, einen Fonds von 1,7 Milliarden kanadische Dollar. Daraus sollen die Betroffenen mit mindestens 8.535 Dollar für den psychologischen, physischen und oft auch sexuellen Missbrauch in ihrer Jugend entschädigt werden.
Kanadas Ureinwohner haben nach dem letzten Zensus von 1991 einen Anteil von 3,7 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Der überwiegende Teil stammt von nordamerikanischen Indianerstämmen ab, gefolgt von den Inuit im nördlichen Teil des Landes. Die drittgrößte Gruppe wird vom Volk der Méhtis gestellt. Sie machen etwa ein Fünftel aller Ureinwohner aus, leben aber – anders als die Indianer und Inuit – heute fast ausschließlich in den Städten des Landes.