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EU: Umstrittene Arbeitsmarkt-Öffnung

Trotz der rosigen Beschreibung von EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla der positiven Auswirkungen von offenen Arbeitsmärkten wird Österreich seine Übergangsfristen für Arbeitskräfte aus den neuen EU-Mitgliedstaaten für drei Jahre bis Ende April 2009 verlängern.

Nur für den Fall, dass die Arbeitslosigkeit in Österreich „nachhaltig sinken“ sollte, kündigte Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein (V) heute, Mittwoch, an, man werde in Abstimmung mit den Sozialpartnern „neue Überlegungen“ anstellen.

Deutschland will die Schranken für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Staaten erst im Jahr 2011 aufheben.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos fordert die Beibehaltung der Übergangsregelungen zum Schutz des heimischen Arbeitsmarkts bis zum Jahr 2011. Daher habe er kein Verständnis für Bartenstein, der diese Schutzklauseln ab 2009 zur Disposition stellen wolle, so Darabos in einer Aussendung. Angesichts der von der Regierung verursachten „Rekordarbeitslosigkeit“ und des weiter zunehmenden Arbeitskräftepotenzials sei an eine vorzeitige Öffnung des Arbeitsmarkts nicht zu denken.

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl sprach sich für eine Verlängerung der Übergangsfristen aus, gleichzeitig sollten bilaterale Beschäftigungsabkommen vorangetrieben werden. ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch hielt fest, dass es angesichts der „Rekordarbeitslosigkeit“ den heimischen Arbeitnehmern nicht zugemutet werden könne, den Arbeitsmarkt bereits jetzt zu öffnen.

Spidla strich bei der heutigen Vorlage des Kommissions-Berichtes über die Übergangsfristen die positiven Folgen einer Öffnung der Arbeitsmärkte hervor: In Großbritannien, Irland und Schweden, jenen drei „alten“ EU-Staaten, die nach der EU-Erweiterung als einzige keine Beschränkungen für arbeitswillige Osteuropäer einführten, sei ein besonders gutes Wirtschaftswachstum, steigende Beschäftigung und geringere Arbeitslosigkeit zu verzeichnen. „Die neuen Arbeitnehmer haben eine Lücke gefüllt“, sagte Spidla am Mittwoch in Brüssel.

Laut dem Bericht der EU-Kommission hat die Mobilität in den EU-Arbeitsmärkten nach der großen Erweiterungsrunde im Mai 2004 kaum zugenommen. In den 15 alten EU-Staaten hat sich, gemessen an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter der Anteil der Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten zwar gegenüber 2003 verdoppelt, allerdings nur auf 0,4 Prozent. Auch jene Länder die keine Restriktionen haben – Großbritannien, Irland und Schweden – seien nicht überschwemmt worden, unterstricht der tschechische Kommissar. In Großbritannien lag der Anteil der osteuropäischen Arbeitskräfte genau im EU-Schnitt, in Schweden darunter und nur in Irland mit zwei Prozent deutlich darüber.

Auch in Österreich liegt der Anteil der potenziellen Arbeitskräfte aus dem Osten mit 1,4 Prozent der Erwerbsfähigen – trotz der Übergangsfristen – deutlich über EU-Schnitt, gegenüber 2003 hat er sich verdoppelt. Das Gros der ausländischen Erwerbsfähigen, immerhin 7,5 Prozent kommt hierzulande allerdings aus Nicht-EU-Staaten. Mit dem hohen Anteil an ausländischen Arbeitskräften, der gestiegenen Arbeitslosigkeit und der geographischen Nähe Österreichs zu den neuen EU-Mitgliedsländern begründet Bartenstein auch die Verländgerung der Übergangsfristen. Bereits jetzt bestünden zahlreiche Sonderregelungen für ausländische Pflegekräfte und Ausnahmen für Topmanager und Schlüsselarbeitskräfte. Die Arbeitslosigkeit unter Ausländern sei in Österreich 2005 zudem um mehr als die Hälfte höher gewesen als bei Österreichern.

„Arbeitnehmerfreizügigkeit ist ein Grundrecht in den EU-Verträgen und macht ökonomisch Sinn“, argumentierte dagegen Spidla und plädierte für den Einsatz der Übergangsfristen „im Verhältnis zum Problem“. Bartenstein verwies dagegen auf die „geografischen Realitäten“. Wien sei nur 300 km von Prag entfernt, während die Distanz nach London 1.200 km oder nach Dublin 1.700 km betrage. Österreich wäre damit von den Risiken einer Freizügigkeit stärker betroffen als andere Länder, zumal es auch einige grenznahe Ballungsräume wie Wels und Graz gebe, meint Bartenstein. Ohne Beschränkung durch die Übergangsfristen wäre der Zustrom von Arbeitskräften aus den neuen EU-Ländern beachtlich gewesen.

Im Bericht, der nun noch von den Mitgliedsländern abgesegnet werden muss, wird die Aufhebung der Übergangsfristen nicht explizit verlangt. Die Entscheidung, ob die Übergangsfristen für Arbeitskräfte aus 8 der 10 neuen Mitgliedstaaten (ohne Zypern und Malta) aufgehoben oder die Beschränkung für weitere drei Jahre fortgesetzt wird, muss bis 30. April nach Brüssel gemeldet werden. Die Mitgliedstaaten dürfen nach der bei der Erweiterung vereinbarten “2+3+2-Regel“ ohne Angabe von Gründen die Fristen für weitere 3 Jahre verlängern, danach nur noch, wenn schwerwiegende Auswirkungen für den Arbeitsmarkt absehbar sind. Darüber will Bartenstein aber erst „in zwei bis drei Jahren“ diskutieren.

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