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F: Chirac zieht Reform zurück

Nach mehr als zweimonatigen Massenprotesten hat Frankreichs bürgerlich-konservative Regierung den heftigst umstrittenen Erstanstellungsvertrag für Berufsanfänger (CPE) zurückgezogen.

Das Vorhaben, dessen Realisierung faktisch auf eine Aufhebung des Kündigungsschutzes hinausgelaufen wäre, werde durch Maßnahmen zur besseren beruflichen Eingliederung von benachteiligten Jugendlichen ersetzt, kündigte Staatspräsident Jacques Chirac am Montag in Paris an. Linksopposition und Gewerkschaften sprachen von einem großen Erfolg der Protestbewegung, Studentenführer von einem „historischen Sieg nach einer historischen Mobilisierung“.

Die Entscheidung gilt als schwere Niederlage für Premierminister Dominique de Villepin, der lange an der Arbeitsrechtsreform festgehalten hatte. Der Regierungschef erklärte in einer kurzen Fernsehansprache, offenbar seien die Ziele des CPE nicht von jedermann verstanden worden. Er habe mit dem Entwurf für ein „besseres Gleichgewicht zwischen mehr Flexibilität für den Arbeitgeber und mehr Sicherheit für den Arbeitnehmer“ sorgen wollen. Angesichts der Verzweiflung vieler Jugendlicher habe er rasch handeln wollen. „Ich wollte schnell handeln, weil die dramatische Lage und die Hoffnungslosigkeit vieler Jugendlicher dies erfordern“, sagte Villepin. Zu seinem Bedauern sei seine Reform „nicht von allen verstanden“ worden. „Ich bedauere dies“, fügte der Regierungschef hinzu.

Der sozialistische Oppositionsführer Francois Hollande nannte das Zurückziehen des Gesetzes einen überfälligen Schritt. Die kommunistisch gelenkte stärkste Gewerkschaft CGT erklärte, das Nachgeben der Regierung sei ein großer Erfolg der gemeinsamen Mobilisierung von Gewerkschaften mit Schülern und Studenten. Der Chef der Gewerkschaft Force Ouvrière (FO), Jean-Claude Mailly, sagte, damit werde die Krise in Frankreich bald beendet sein. Die Studentenführerin Julie Coudry forderte ein Ende der Blockaden an den Universitäten. Das Scheitern des Erstanstellungsvertrages sei „ein kollektiver Sieg“. Nun müssten die Studenten auch ihre Prüfungen schaffen; dazu sollten die Universitäts-Blockaden aufgehoben werden. Der Chef des Studentenverbandes UNEF, Bruno Julliard, forderte die Kritiker dagegen auf, bis zur kommenden Parlamentsabstimmung über eine Neuregelung „den Druck aufrecht zu erhalten“.

Über die neue Linie der Regierung hatten Chirac, Villepin und Innenminister Nicolas Sarkozy, der Chef der Regierungspartei UMP, am Vormittag beraten. Der neue Gesetzesantrag, der noch diese Woche im Parlament eingebracht werden soll, war nach Beratungen mit Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgearbeitet worden. Schüler, Studenten und Gewerkschaften liefen seit zehn Wochen Sturm gegen den ursprünglichen Plan Villepins, den Kündigungsschutz für Berufsanfänger bis 26 Jahre praktisch abzuschaffen. Als Reaktion auf die Massenproteste hatte Chirac schließlich umfangreiche Änderungen zugesagt.

Die soziale Krise hat der Popularität von Präsident und Premier schwer geschadet. In jüngsten Umfragen gingen die Zustimmungswerte für Chirac und Villepin weiter zurück. In einer am Montag in der Tageszeitung „Libération“ veröffentlichten Erhebung des Instituts LH2 sprachen beiden jeweils nur noch 25 Prozent der Befragten ihr Vertrauen aus. Chirac verlor damit im Vergleich um März acht Prozentpunkte und Villepin zwölf.

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