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Italien: Regierungsbildung erst Ende Mai

Der italienische Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi hat am Mittwoch den Sieger der italienischen Parlamentswahlen, Romano Prodi, empfangen. Ciampi erwarte keine rasche Regierungsbildung. Pressestimmen

Man müsse sich auf eine längere Zeit einstellen, meinte Ciampi, dessen siebenjähriges Mandat am 18. Mai ausläuft. Die beiden Parlamentskammern und Vertreter der Regionen bestimmen am 12. und 13. Mai den neuen Staatspräsidenten.

Auch der designierte neue Ministerpräsident Prodi sagte, er werde wohl erst in der zweiten Maihälfte eine neue Regierung bilden. „Der neue Präsident wird mir den Regierungsauftrag geben. Daher werden wir bis zur Wahl des neuen Staatschefs Mitte Mai warten müssen“, betonte Prodi in einem Radiointerview. Er arbeite aber bereits an der neuen Regierung. „Wir haben bereits ein erstes Treffen gehabt, um dieses Thema zu diskutieren“, sagte Prodi.

Dem Wahlsieger stehen nun arbeitsreiche Tage bevor. Er plant den Einsatz eines „Direktoriums“, an dem sich alle Parteichefs des Mitte-Links-Blocks beteiligen werden. Das Direktorium, das zwei Mal im Monat tagen soll, soll die Kandidaturen in Hinblick auf den Aufbau des neuen Kabinetts überprüfen. Prodi will die Parteichefs der stärksten Gruppierungen seiner Allianz zum Beitritt in die Regierung als Minister bewegen, um sich ihre „Treue“ zu sichern. Linksdemokraten-Chef Piero Fassino sollte den Posten des Wirtschaftsministers übernehmen. Auch Rifondazione-Chef Fausto Bertinotti winkt ein Ministersessel.

Prodi bekräftigte auch sein Veto gegen den Vorschlag einer „Großen Koalition“ mit der Mitte-Rechts-Allianz „Casa delle Liberta’“ (Haus der Freiheiten). „Wir haben uns den Wählern mit einem ganz bestimmten Bündnis gestellt und das Wahlgesetz hat uns eine Anzahl von Sitzen in der Abgeordnetenkammer und im Senat zugewiesen, die es uns erlaubt, zu regieren“, erklärte Prodi vor Journalisten.

Der noch amtierende Ministerpräsiden Silvio Berlusconi hatte am Dienstag vor einer „Spaltung des Landes“ gewarnt und sich geweigert, Prodi als Wahlsieger anzuerkennen. Beide Lager teilen sich jeweils etwa 50 Prozent der Stimmen. Es sei unverantwortlich, wenn Prodi jetzt Siegesfeiern veranstalte. Nach einer Forderung der Mitte-Rechts-Allianz sollen die ungültigen Stimmzettel neu kontrolliert werden. Berlusconi verlangte auch zusätzliche Kontrollen der Wählerstimmen der rund drei Millionen Auslandsitaliener, die mehrheitlich für Prodi gestimmt hatten. Die Kontrolle der ungültigen Wählerstimmen wird voraussichtlich bis Freitag dauern. Erst nach Ostern ist mit der neuen Überprüfung der Stimmen der Auslandsitaliener zu rechnen. Die Überprüfung der umstrittenen Stimmzettel wird von Kommissionen unter Leitung von Richtern vorgenommen.

In den bisher veröffentlichten Wahlergebnissen seien noch „viele zu dunkle Punkte“ enthalten, hatte Berlusconi bei einer Pressekonferenz am Dienstag gesagt. Er klagte über „zahlreiche Unregelmäßigkeiten“, vor allem bei der Auszählung der Stimmen der Auslandsitaliener. „Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Stimmen der Auslandsitaliener für ungültig erklärt werden könnten“, sagte der Regierungschef.

Für Aufsehen sorgte in Rom die Entdeckung von mindestens fünf Kisten mit gültigen Wahlzetteln. Sie hätten auf der Straße in der Nähe von Müllcontainern gestanden. Die Polizei habe die Straße abgesperrt und die Kisten geöffnet, berichteten italienische Medien. Wie die Stimmzettel, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ausgezählt worden sind, auf die Straße gelangen konnten, war völlig unklar. Vielleicht habe der Reinigungsdienst eines nahe gelegenen Wahllokals die Kartons an den Müll gestellt, ohne von ihrem Inhalt gewusst zu haben, hieß es. Untersuchungen laufen.

Kirche wegen politischer Spaltung des Landes besorgt

Das momentan in zwei Lager gespaltene Italien beunruhigt die Kirche. Die hauchdünne Mehrheit, mit der der Chef der Mitte-Links-Bündnisses Romano Prodi die Parlamentswahl gewonnen hat, könnte zu politischer Instabilität führen. „Italien ist ein gespaltenes Land. Es ist wichtig, dass die beiden politischen Blöcke zusammenarbeiten, um diese schwierige politische und wirtschaftliche Phase in Italien zu überwinden“, kommentierte die katholische Tageszeitung „L’Avvenire“, Sprachrohr der italienischen Bischofskonferenz.

Es sei „Zeit, die Konflikte zu überwinden“, so der Vizedirektor der einflussreichen Jesuitenzeitschrift Civilta’ Cattolica, Michele Simone. „Italien steht vor einer Reihe sehr ernster wirtschaftlicher Probleme. Der Ölpreis ist extrem hoch, die internationalen Rating-Agenturen dürften die Kreditwürdigkeit unseres Landes neuerlich herabstufen. Das verlangt vielleicht nicht gerade eine Zusammenarbeit der politischen Lager, aber ganz bestimmt den Verzicht der Parteien, einander dauern unter Beschuss zu nehmen. Ich würde nicht soweit gehen zu sagen, die Ära Berlusconi ist zu Ende. Denn Berlusconi scheint tausend Leben zu haben. Aber mit Sicherheit steuern wir auf eine Übergangsperiode zu, in der wir mehr Übereinstimmung suchen müssen“, schrieb Simone.

Kurienkardinal Achille Silvestrini lobte Prodis Beschluss, keine Große Koalition mit der Mitte-Rechts-Allianz um Silvio Berlusconi aufzubauen. „Ich glaube nicht, dass eine Lösung wie jene in Deutschland in Italien durchführbar wäre“, so der Kardinal.

In Vatikankreisen begrüßte man den niedrigen Stimmenanteil der laizistischen Partei „Rosa nel Pugno“ (Rose in der Faust), die für die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Paare kämpft und stark Vatikan-feindlich orientiert ist. Die Partei von Marco Pannella und der Ex-EU-Menschenrechtskommissarin Emma Bonino musste sich mit 2,5 Prozent der Stimmen begnügen. Die Parteichefs hatten mit mehr Stimmen gerechnet

Prodi hat keine Furcht vor Neuauszählung strittiger Stimmen

Der Anführer der italienischen Mitte-Links-Allianz und wahrscheinlich nächste Regierungschef Romano Prodi fürchtet die neuerliche Auszählung der ungültigen Stimmzettel nicht – wie dies vom noch amtierenden Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi gefordert worden war. „Ich habe absolut keine Angst, dass sich die Lage ändern könnte, ich werde die Mehrheit nicht verlieren“, sagte Prodi am Mittwoch bei einer Pressekonferenz vor ausländischen Journalisten, der ersten seit der Kundgebung der definitiven Wahlergebnisse in Italien.

„Ich begreife nicht, warum Berlusconi protestiert. Er kontrolliert das Innenministerium und die Maschinerie, die für die Stimmenzählung verantwortlich ist. Mit seinem Protest beweist er, dass er sich selbst nicht traut. Er steckt in einer tiefen Identitätskrise“, meinte Prodi.

Der bisherige Oppositionspolitiker bestätigte sein Veto gegen die von Berlusconi vorgeschlagene „Große Koalition“ nach deutschem Muster. „Die Große Koalition ist unserer politischen Tradition fremd. Sie kommt in Frage, wenn es keine Mehrheit gibt, was in Italien aber nicht der Fall ist. Unsere Mehrheit ist stärker als jene, mit der Gerhard Schröder 2001 das Bundeskanzleramt in Deutschland übernommen hatte“, sagte Prodi.

Der Wahlsieger bekundete seine feste Absicht, ein Gesetz zur Bekämpfung der Interessenskonflikte zu verabschieden. „Mir geht es nicht um Rache gegen Berlusconi. Das Thema der Interessenskonflikte ist ein Problem, mit dem sich jede Demokratie auseinandersetzen muss – und auch in Italien muss es in Angriff genommen werden. Wir werden dies in Ruhe tun und dabei wie in anderen Ländern die Kartellregeln berücksichtigen“, meinte Prodi.

Prioritär für die Mitte-Links-Allianz sei auch die Abschaffung des von Berlusconi 2001 eingeführten Immigrationsgesetzes. „Das alte Gesetz fördert keineswegs die Integration der Ausländer. Wir betrachten die Immigration als kein vorübergehendes Phänomen und wollen daher stärker auf Integration setzen“, meinte Prodi. Er betonte, dass er die Kompetenz für Immigration vom Innenministerium auf die Lokalbehörden verlegen wolle.

Prodi erklärte, er wolle das durch die Regierung Berlusconi geschwächte internationale Ansehen Italiens stärken. „In erster Linie will ich für bessere Manieren sorgen, was schon ein Schritt nach vorne ist“, sagte Prodi. Hinzu müsse Italien in Brüssel nicht nur mit Beschwerden, sondern auch mit konkreten Vorschlägen für eine engere Kooperation zwischen den Mitgliedern auftreten.

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