So schnell bringt mich nichts um – genau zwei Wochen waren die beiden australischen Bergarbeiter Todd Russell und Brant Webb unter Tage verschüttet; doch die Strapazen war ihnen nicht anzusehen, als sie am Dienstag nach einer dramatischen Rettungsaktion lebend geborgen wurden. Unter dem Jubel ihrer Angehörigen, Freunde und ganz Australiens kehrten sie im Morgengrauen an die Erdoberfläche zurück, während die Kirchenglocken des tasmanischen Ortes Beaconsfield erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs läuteten.
Wie nahe Freude und Trauer beieinander liegen, zeigte sich kurz darauf: Nur wenige Stunden nach seiner Rettung nahm Russell an der Beerdigung seines Kollegen Larry Knight teil, der das Minenunglück nicht überlebt hatte.
Hunderte durch die Kirchenglocken herbeigerufene Bewohner von Beaconsfield auf der Insel Tasmanien klatschten und jubelten, als die beiden hühnenhaften Gestalten in der Morgendämmerung aus der Tiefe auftauchten. Mit den Fäusten in der Luft, einem breiten Grinsen auf ihren bärtigen Gesichtern und ohne fremde Hilfe gingen sie auf ihre Familien zu und umarmten sie. 321 Stunden hatten die beiden Kumpel unter der Erde verbracht, eingepfercht in einem kleinen Metallkäfig, in dem sie gerade gearbeitet hatten, als die Erde bebte und die Goldmine einstürzte. Doch strahlten Russell und Webb eine solche Energie aus, dass Ärzte und unbeteiligte Zuschauer sie zunächst für Mitglieder des Bergungsteams hielten. Nur kurze Zeit hielten sie es in der Klinik aus, in die sie zur Kontrolle gebracht wurden.
Die Bergungsmannschaften waren nach fieberhaftem Einsatz gegen 5.00 Uhr zu den in einem Kilometer Tiefe festsitzenden Männern vorgedrungen. Ich kann Euer Licht sehen, rief einer der Helfer , als er durch die letzte Felsschichten drang. Russell und Webb riefen zurück: Wir können Euer Licht auch sehen! Bill Shorten von der australischen Arbeitergewerkschaft sprach von einem unglaublichen Tag.
Der 35-jährige Russell und der zwei Jahre ältere Webb waren erst fünf Tage nach dem Erdbeben entdeckt worden, bei dem ihr Kollege Knight ums Leben kam und 14 weitere Kumpel sich rechtzeitig retten konnten. Der Metallkäfig, in dem sie arbeiteten, hatte ihnen das Leben gerettet: Auf den dachlosen Käfig war eine Steinplatte gefallen, sie schützte die beiden Männer vor weiteren herabstürzenden Felsbrocken. Die ersten fünf Tage lebten sie von einem Schokoriegel und tranken Wasser, das von den Felsen tropfte. Nach ihrer Entdeckung wurde eine schmale Röhre durch den Schutt in den Käfig gelegt, über die die Bergarbeiter versorgt werden konnten.
Wegen ihres ungebrochenen Muts und Humors wurden Russell und Webb für die Australier rasch zu Nationalhelden. So versicherten sie während ihrer unfreiwilligen Haft unter der Erde den Rettungsleuten, sie würden über ihre Überstunden genau Buch führen und riefen nach Zeitungen, um nach besseren Jobs zu suchen. Ihren Käfig bezeichneten sie als Two-Star-Hotel, mit ihnen als die beiden Stars. Australiens Premier John Howard feierte ihre Rettung als Beispiel für den australischen Kameradschaftsgeist. Wir alle – die gesamten 20 Millionen – freuen uns ungemein, sie wieder unter uns zu haben.
Aber noch während der ersten ausgelassenen Feier mit Freibier in dem einzigen Lokal des Orts erinnerte ein Minenarbeiter an ihren Kumpel Knight, der das Unglück nicht überlebte. Er sprach von einem bittersüßen Tag. Russell ließ es sich nicht nehmen, nur wenige Stunden nach seiner Rettung an der Beerdigung seines 44-jährigen Kollegen teilzunehmen; einer Feier, die ihm offensichtlich ebenso ans Herz ging wie seine Rettung.