Führende Politiker von Union und SPD äußerte sich bei der Bekanntgabe der Ergebnisse in Berlin zufrieden. Die Opposition kritisierte das Ergebnis hingegen scharf. Auch im SPD-Präsidium gab es deutlichen Unmut.
Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel sprach nach den rund zehnstündigen Beratungen am frühen Morgen von einem wirklichen Durchbruch. Auch der SPD-Parteichef Kurt Beck begrüßte das Ergebnis. CSU-Chef Edmund Stoiber sagte bei einer Sitzung seines Parteipräsidiums am Montag in München, er sei vor allem sehr zufrieden darüber, dass Steuererhöhungen im Rahmen der Reform abgewehrt worden seien.
Der geplante Gesundheitsfonds wird nach Merkels Worten die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern einziehen. Der Satz wird gesetzlich festgeschrieben. Aus diesem Fonds sollen die Kassen für jeden Versicherten einen festen Betrag erhalten. Falls das Geld nicht ausreicht, sollen die Kassen selbst entscheiden, welche Zusatzleistungen sie von ihren Mitgliedern einfordern – entweder eine kleine Pauschale oder einen prozentual am Einkommen bemessener Zusatzbeitrag. Damit bekomme der Einzelne mehr Wahlmöglichkeiten, meinte Merkel.
Auf die gesetzlich Krankenversicherten kommen im nächsten Jahr höhere Belastungen zu. Nach der Einigung müssen die Beiträge im nächsten Jahr um rund 0,5 Prozentpunkte steigen, die sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen. Zudem verständigte sich die Spitzenrunde darauf, die Krankenkassen ab 2008 über stufenweise steigende Steuermittel mitzufinanzieren. Steuererhöhungen für diesen Zweck werde es aber nicht geben, sagte Merkel.
Merkel kündigte an, 2008 solle der Steueranteil für das Gesundheitswesen 1,5 Milliarden Euro betragen und 2009 drei Milliarden. Über die nächste Legislaturperiode sollten die Mittel weiter ansteigen. Das Geld solle dazu verwendet werden, die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder zu finanzieren, die insgesamt rund 16 Milliarden Euro erfordern würde. Langfristig werde eine Entkopplung der Arbeits- von den steigenden Gesundheitskosten erreicht, sagte Merkel und fügte hinzu: Ich glaube, uns ist hier ein guter Schritt gelungen.
Die zuständige SPD-Ministerin Ulla Schmidt erwartet nach der Reform eine verlässliche, moderne und auf lange Zeit sichere Gesundheitsversorgung. Künftig werde niemand mehr ohne den Schutz durch eine Krankenversicherung sein. Zudem würden Strukturreformen auf den Weg gebracht, die die Krankenversicherung effizienter und transparenter machten.
Über Details der Vereinbarungen zur Unternehmenssteuerreform will die Koalitionsführung erst am (morgigen) Dienstag die Öffentlichkeit unterrichten. CSU-Chef Stoiber erklärte, die Gesamtsteuerbelastung der Kapitalgesellschaften solle von jetzt 38,65 Prozent auf knapp unter 30 Prozent gesenkt werden. Außerdem habe man eine Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge beschlossen. Die Höhe nannte Stoiber nicht. Die Gewerbesteuer solle erhalten bleiben. Union und SPD informierten zunächst ihre Parteien und Fraktionen über die Reformpläne. Die Gesetzgebung soll im Oktober dieses Jahres beginnen. Der Gesetzentwurf soll Ende 2007 vorliegen.
Nach den Plänen von Finanzminister Peer Steinbrück soll die Gesamtsteuerlast für Kapitalgesellschaften von derzeit 38,65 auf 29,19 Prozent sinken. Dafür soll der Körperschaftsteuersatz auf 12,5 Prozent halbiert und die Gewerbesteuermesszahl ebenfalls sinken. Die Koalition will aber auch große Personengesellschaften von der geplanten Senkung der Gesamtsteuerlast profitieren lassen.
Die Einigung der großen Koalition auf Eckpunkte zur Gesundheitsreform ist nach einhelliger Ansicht der Opposition ein schlechter Kompromiss. FDP, Grüne und Linkspartei kritisierten am Montag in Berlin, die große Koalition habe sich nicht zu echten Reformschritten durchringen können. Das FDP-Präsidium erklärte, die schwarz-rote Koalition sei dabei, in trauter Eintracht das deutsche Gesundheitssystem zu ruinieren. Durch den Kompromiss würden weder die aktuellen noch die langfristigen Probleme des Gesundheitssystems gelöst. Auch der Plan, die Beiträge um 0,5 Prozentpunkte zu erhöhen, stieß bei der Opposition auf Ablehnung.
Die gesetzlichen Krankenkassen protestierten ebenfalls gegen den Gesundheitskompromiss der großen Koalition. Dadurch sei kein Problem gelöst, sagte Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen (VdAK), am Montag in Siegburg. Stattdessen drohe den gesetzlichen Kassen durch den Gesundheitsfonds der Verlust ihrer Finanzautonomie.
Die Einigung von Union und SPD zur geplanten deutschen Gesundheitsreform stieß auch in den Führungsgremien der Sozialdemokraten auf Widerstand. Im 45-köpfigen Parteipräsidium stimmten am Montag nach Angaben von Generalsekretär Hubertus Heil zwei Mitglieder gegen die Vereinbarung, fünf enthielten sich. In der daran anschließenden Vorstandssitzung gab es Teilnehmern zufolge eine sehr kritische, aber sachliche Debatte. Zuvor hatten führende SPD-Mitglieder Unmut über die Vereinbarung ausgedrückt. Die CDU-Führung hatte die vereinbarten Grundzüge der Gesundheitsreform nach Angaben aus Parteikreisen hingegen ohne größere Einwände zur Kenntnis genommen.
Vorausgegangen waren der Einigung fast zehnstündige Verhandlungen im Kanzleramt. Wegen zahlreicher Streitfragen zogen sich die Vertreter von Union und SPD mehrfach zu getrennten Beratungen zurück. Teilnehmer sprachen von mühseligen Verhandlungen, in denen fast sieben Stunden allein über das strittige Thema Steuerfinanzierung gesprochen worden sei. Die Union hatte kurz vor der Sitzung Steuererhöhungen für die Gesundheit strikt abgelehnt. Die SPD wollte eigentlich eine weitaus größere Summe über Steuermittel finanzieren.