Der Fall erinnerte an die Entführung und den Missbrauch von sechs Mädchen 1995/96, von denen vier ihr Martyrium nicht überlebten.
Der Fall löste damals eine Staatskrise aus. In einem Jahrhundertprozess wurde der Kinderschänder Marc Dutroux im Juni 2004 zu lebenslanger Haft verurteilt. Seine Festnahme jährt sich am Sonntag zum zehnten Mal.
Am 13. August 1996 versank Belgien in einen Albtraum. Zwar gab es zunächst noch Anlass zur Freude, als die Polizei aus einem Kellerverlies auf einem Anwesen des vorbestraften Elektrikers die zwölfjährige Sabine Dardenne und die 14-jährige Laetitia Delhez befreite. Doch nur drei Tage später fand sie auf einem anderen Grundstück die Leichen der vermissten achtjährigen Mädchen Julie Lejeune und Melissa Russo sowie eines Komplizen, Bernard Weinstein, nachdem Dutroux selbst den Hinweis gegeben hatte.
Wiederum zwei Wochen später entdeckte man auf einem weiteren Grundstück die Leichen der 19-jährigen Eefje Lambrecks und der 17-jährigen An Marchal. Alle vier waren seit über einem Jahr als vermisst gemeldet. Sie waren nicht nur misshandelt worden, sie mussten in ihren Kellergefängnissen elendiglich verdursten und verhungern.
Dutroux war zum Zeitpunkt seiner Verhaftung mehrfach vorbestraft. Aufgefallen war er zunächst wegen Autodiebstählen, Überfällen und Drogendelikten. Doch bereits Ende der neunziger Jahre wurde er wegen Kindesentführung und Missbrauchs zu mehr als 13 Jahren Haft verurteilt, seine Lebensgefährtin und Komplizin Michelle Martin zu fünf Jahren. Beide heirateten im Gefängnis. Dutroux kam nach nur drei Jahren wegen guter Führung wieder auf freien Fuß.
Die Geschichte des Pädophilen Marc Dutroux ist nicht nur die Geschichte eines besonders kaltblütigen Kriminellen, sondern auch die eines Totalversagens der Behörden. So wurde nach den vermissten Mädchen nur halbherzig gesucht. Während einer Hausdurchsuchung bei Dutroux hörte ein Beamter Kinderstimmen aus dem Keller, er ging der Sache jedoch nicht weiter nach: Bei etwas mehr Gewissenhaftigkeit von Seiten der Behörden hätten Julie und Melissa überleben können. Bisweilen behinderten sich Polizei und Gendarmerie gegenseitig bei den Ermittlungen. Die Eltern selbst ließen Plakate drucken, um auf das Verschwinden ihrer Töchter aufmerksam zu machen.
Nach der Verhaftung von Dutroux ging die Pannenserie weiter. Ein engagierter Ermittlungsrichter musste nach der Teilnahme an einer Benefizveranstaltung für die Opfer seinen Stuhl räumen und wurde von einem unerfahrenen Richter ersetzt, der vielen Spuren offenbar nicht nachging und Beweise nicht zuließ. Die Ablösung des beliebten Jean-Marc Connerotte führte zum so genannten Weißen Marsch, der größten Demonstration, die Belgien jemals gesehen hatte. 300.000 Menschen nahmen teil.
Der neue Richter Jacques Langlois war von Anfang an überzeugt, dass es sich bei Dutroux um einen Einzeltäter handelte. Daher ließ er Mutmaßungen außer Acht, dass Dutroux nur der verlängerte Arm eines Pädophilen-Netzwerkes sein könnte, in das auch ranghohe belgische Funktionäre verstrickt gewesen sein sollen.
Verbindungsglied soll der zwielichtige Brüsseler Geschäftsmann Michel Nihoul gewesen sein, der im Dutroux-Prozess neben Martin und dem Komplizen Michel Lelievre mitangeklagt war und schließlich wegen Drogen- und Menschenhandels zu fünf Jahren verurteilt wurde. Noch in seinem Schlussplädoyer vor dem Schwurgericht in Arlon beteuerte Dutroux, er sei kein Mörder, sondern nur Teil einer Mafia, die unter dem Schutz von Polizei und Behörden ihr Unwesen getrieben habe. Unbehagen löste der Tod von mehr als zwei Dutzend Zeugen aus, die während der Beweisaufnahme auf mehr oder weniger ungeklärte Art starben.
Als Behördenversagen einzuordnen ist schließlich auch die Flucht des Verbrechers aus der Untersuchungshaft im April 1998. Vier Stunden später wurde er zwar bei einem polizeilichen Großeinsatz wieder gefangen genommen, doch führte seine Flucht zum Rücktritt von Innenminister Johan Vande Lanotte, Justizminister Stefan de Clerck und Polizeichef Willy Deridder. Ein Misstrauensvotum gegen die Regierung wenige Tage später scheitert indes.