Wolfgang Schüssel - der entzauberte Kanzler
Verantwortlich dafür ist wohl auch der VP-Obmann selbst, denn hinter dem Rücken des bisher unumstrittenen Stars der Volkspartei kann in der ÖVP niemand eine Wahl-Kampagne konzipieren.
Schüssel setzte auf Amtsbonus und Wohlfühlen. Weil ers kann plakatierte die ÖVP, was die Österreicher offenbar mehrheitlich in Zweifel zogen. Mehr als sieben Prozentpunkte Verlust könnten für den VP-Obmann das Ende seiner langen innenpolitischen Karriere bedeuten. Denn als Vizekanzler steht Schüssel nicht noch einmal zur Verfügung. Den Job hatte er für seinen Geschmack in den 90er-Jahren lange genug. Verhindern kann Schüssel das Schicksal nur, wenn er seine Ansagen vor der Wahl vergisst und mit der FPÖ und dem BZÖ eine Dreier-Koalition eingeht.
Für Schüssel ist der 1. Oktober 2006 freilich nicht der erste Wahltag, der ihm eine Enttäuschung bescherte. Das erste Antreten als Spitzenkandidat bei einer Nationalratswahl im Jahr 1995 endete bereits in einer Pleite. Trotz Zugewinnen blieb der ÖVP bei dem von ihr vom Zaun gebrochenen Urnengang nur Platz zwei hinter der SPÖ. Vier Jahre später kam es bei den Wahlen noch dicker. Die ÖVP fiel – knapp, aber doch – auf Platz drei hinter die FPÖ zurück.
Skurrilerweise bereitete aber gerade diese Schlappe den Aufstieg Schüssels vor. Trotz seiner Ansage im Wahlkampf, als Nummer drei in die Opposition zu gehen, ließ sich Schüssel wieder auf Regierungsverhandlungen ein und wurde schließlich im Februar 2000 mit Hilfe von Jörg Haiders FPÖ Bundeskanzler. Was dem VP-Chef daraufhin in erster Linie gelang: Er ließ die Freiheitlichen zerbröseln und war zwei Jahre später plötzlich sogar die Nummer eins in der Wählergunst.
Seither ging es freilich für den gerne als Schweigekanzler titulierten Schüssel bergab. Nichts wurde daraus, dass er EU-Kommissionspräsident wird (da hing ihm doch der Tabubruch der Koalition mit der FPÖ zu sehr nach), und auch bei den Wahlen kassierte die Volkspartei Niederlage um Niederlage. Die Kernländer Steiermark und Salzburg gingen verloren, der Bundespräsident stammt wieder aus der SPÖ und auch im EU-Parlament stellen die Sozialdemokraten die stärkste Fraktion.
Dass man trotzdem neuerlich und letztlich fälschlicher Weise mit einem ÖVP-Sieg bei der Wahl rechnete, lag am BAWAG-Schlamassel der SPÖ. Genüsslich weideten die Hintermänner in der ÖVP den Banken-Skandal aus, während der spät in den Wahlkampf eingestiegen Kanzler den Mutmacher gab. Diese Doppel-Strategie kam letztlich offenbar doch nicht so gut an, umso mehr als auch die Volkspartei mit ihrem Ex-Obmann Josef Taus ein wenig in die BAWAG-Schlagzeilen geriet. Und offenbar hatte man unterschätzt, dass es der oft als arrogant empfundene Schüssel auch nach sechs Jahren nicht geschafft hatte, einen echten Kanzlerbonus aufzubauen. Aussagen wie die von der vor ihm flach liegenden Feministentruppe dürften auch nicht unbedingt für einen Popularitätsschub vor allem bei den weiblichen Wählern gesorgt haben.
In der Öffentlichkeit kam der ÖVP-Obmann so und so lange nicht besonders an, obwohl seine Fähigkeiten als Rhetoriker immer schon unumstritten waren. Als herausragendste politische Fähigkeit gilt das taktische Geschick, das er sich in vielen Jahren der Innenpolitik angeeignet hatte. Über den ÖVP-Parlamentsklub und das Wirtschaftsbund-Generalsekretariat führte sein Weg in die Regierung, wo er 1989 das Wirtschaftsministerium übernahm. Im April 1995 ging der Kompromiss-Kandidat Schüssel aus einem parteiinternen Gerangel um die Nachfolge von Erhard Busek als ÖVP-Obmann hervor. In der Folge übernahm er Vizekanzleramt und Außenministerium – ab 2000 dann das Kanzleramt, aus dem er jetzt nach sechs Jahren wieder ausziehen dürfte.
Sollte die Politik für ihn ein Ende haben, dürfte dem VP-Obmann trotzdem nicht fad werden. Die Liste seiner Hobbys ist für einen Spitzenpolitiker erstaunlich lang. Cello-Spielen, Bergsteigen, Skifahren, Papierschnitte basteln sind nur einige der Lieblingsbeschäftigungen des Kanzlers, der seit Jahrzehnten mit Familienpsychologin Krista verheiratet ist und Vater eines Sohnes und einer schauspielernden Tochter ist.