AA

Ariel Sharon hinterließ großes Vakuum

Ariel Sharons plötzliches "Verschwinden" vor einem Jahr - er fiel am 4. Jänner 2006 in ein andauerndes Koma - hat ein Vakuum hinterlassen, das seine in-brünstigen Feinde, aber auch die Freunde schmerzt.

Kaum ein Politiker im Nahen Osten war jemals so umstritten wie Ariel Sharon. Sein zufälliger Nachfolger Ehud Olmert bietet den Feinden Sharons längst keine so bewährte Angriffsfläche, wie der „Hardliner“ oder „Bulldozer“ Ariel Sharon.

Als „Massenmörder von Sabra und Shatila“ wurde er 1982 zum Maskottchen antiisraelischer Propaganda. Dass Gerichte in Israel und New York ihn von direkter Verantwortung für das Blutbad in den palästinensischen Flüchtlingslagern südlich von Beirut freigesprochen haben, hinderte niemanden daran, jeglichen Hass auf seine Person zu richten. Für die Feinde Israels galt Sharon als „Vater der Siedlungspolitik“, was historisch nur bedingt gilt. Die meisten Siedlungen wurden von der Arbeitspartei als sicherheitspolitische Notwendigkeit lange vor Sharons politischer Karriere errichtet.

Sharon, vor einem Jahr durch einen Hirnschlag ins Koma gefallen, hinterließ auch in Israel ein Vakuum. Er war für seine Landsleute nicht so sehr die Negativfigur blutiger Massaker an Palästinensern, sondern jener Politiker, der das Überleben des jüdischen Staates im Sinne hatte. Sharon war schon in jungen Jahren ein nicht zu bändigender Querulant. Im Laufe seiner militärischen Karriere fiel er als eigenwilliger Kommandant auf, der sich um die Befehle seiner Vorgesetzten wenig kümmerte.

Sein taktischer Beschluss, 1973 als General der Reserve, den Suez-Kanal zu überqueren und bis 101 Kilometer vor Kairo vorzudringen, entschied militärisch und politisch den für Israel „verlorenen“ Yom-Kippur-Krieg. Sharon wurde so zum Wegbereiter des Friedens mit Ägypten, dem stärksten und gefährlichsten Gegner Israels in der arabischen Welt. Als Verteidigungsminister Menachem Begins war Sharon auch jener Politiker, der 1982 in Yamit erstmals den Befehl zur Zerstörung von Siedlungen in besetzten Gebieten gab.

2000, nach Ausbruch der zweiten bzw. Al-Aksa-Intifada, war den Israelis klar geworden, dass selbst maßlose Konzessionen an die Palästinenser, wie von Premierminister Ehud Barak in Camp David angeboten, keinen Frieden bringen würden. Yasser Arafats „Nein“ bedeutete das Ende der Friedenseuphorie seit den Osloer Verträgen Anfang der 1990er-Jahre. Für die Israelis war ein „starker Mann“ gefragt, der allein „Sicherheit“ im Sinne hatte. Ariel Sharon galt als die letzte Rettung.

Sharon, der länger als andere Militärs als Politiker fungierte, länger als Yitzhak Rabin, Ehud Barak oder Amram Mitzna, wollte die Intifada durch Zurückhaltung beenden. Während der „gemäßigte“ Barak sinnlos alle Hauptquartiere Arafats und Polizeizentralen bombardieren ließ, verkündete Sharon einen einseitigen Waffenstillstand. Die Zahl der getöteten Palästinenser ging drastisch zurück. Doch Selbstmordattentate und die Ermordung des Tourismusministers Rehavam Zeevi zwangen Sharon zu einer „harten“ Politik, der Belagerung von Arafats Hauptquartier, dem Einmarsch im Westjordanland und dem Bau des umstrittenen Sperrwalls.

Sharon war nie ein Ideologe und schon gar kein verblendeter messianischer Siedler. Nur der Sicherheit und Zukunft des jüdischen Staates verpflichtet, konnte ausgerechnet Sharon die Räumung aller Siedlungen im Gaza-Streifen und im Norden des Westjordanlandes beschließen. Sharon schickte die von ihm gegründete Likud-Partei ins Abseits. Der vorhergesagte Bürgerkrieg blieb aus. Und trotz seines plötzlichen Verschwindens siegte bei den Wahlen seine konzeptlose Kadima-Partei mit dem grauen Ehud Olmert an der Spitze.

Der „Bulldozer“ hat ein gefährliches Vakuum hinterlassen. Die Hisbollah im Libanon hatte nach Ansicht von Experten im Sommer 2006 den Krieg nur ausgelöst, weil sie den „Zivilisten“ Olmert für unfähig hielt, die Raketen-Attacken mit Krieg zu beantworten. Trotz aller Kritik an „einseitigen Schritten“, wollte Sharon auch das Westjordanland weitgehend räumen. Wegen der Versäumnisse der nach Israel zurückgeholten und bis heute arbeitslosen Siedler aus Gaza dürfte eine Fortsetzung dieser Politik unter Olmert undenkbar sein.

Als Premierminister überzeugte Sharon die Israelis, den palästinensischen Nationalismus zu akzeptieren und einer „Abtrennung“ mitsamt Abschied von biblischen Gefilden zuzustimmen. Ausgerechnet Sharon hat die Israelis vom Wahn messianischer Träumereien befreit und auf den Boden eines Realismus zurückgeholt, der nur das Überleben eines kleinen jüdischen Staates in sicheren Grenzen kennt. Sharons einseitiger Rückzug aus Gaza war zwar keine „Friedensgeste“, beendete aber weitgehend die Intifada und verwandelte die politische Landschaft im Nahen Osten – bis heute.

  • VIENNA.AT
  • Chronik
  • Ariel Sharon hinterließ großes Vakuum
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen