AA

Frankreich vor einem Superwahljahr

Nach zwölf Jahren Jacques Chirac im Pariser …lysée-Palast herrscht Aufbruchstimmung. Im Frühjahr wählt Frankreich einen neuen Präsidenten und eine neue Nationalversammlung.

Und erstmals hat eine Frau seriöse Aussichten auf das höchste Amt der Republik: Ségolène Royal von der Sozialistischen Partei (PS) versucht, ihre politikverdrossenen Landsleute für eine „teilhabende Demokratie“ zu gewinnen. Auch ihr Konkurrent, Nicolas Sarkozy von der bürgerlich-konservativen Union für eine Volksbewegung (UMP), verspricht eine „neue“ Republik. Dabei sitzt er als mächtiger Minister seit fünf Jahren in der Regierung.

Nach jüngsten Umfragen käme es derzeit bei einer Stichwahl zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen von Royal und Sarkozy. „In den Augen der Bevölkerung stehen beide für einen Bruch mit dem Personal des …lysée-Palastes“, sagt der Publizist und Historiker Alfred Grosser. „Und Madame Royal ist eine Frau, sie steht schon deswegen für einen Neubeginn.“ Zum „Phänomen Royal“ gehört indes mehr als ein hübsches Gesicht und eine attraktive Figur. Die 53-Jährige ist die langjährige Lebensgefährtin von PS-Chef Francois Hollande, mit dem sie vier Kinder hat, und alles andere als ein Parteiapparatschik. Die ehemalige Umwelt- und Familienministerin, derzeit Präsidentin der Westregion Poitou-Charentes, mied im Vorwahlkampf die internen Grabenkämpfe, sie steht über dem traditionellen sozialistischen Programm und organisiert ihre Kampagne zur Verblüffung ihres Partners mit einem eigenen Team und eigenen Konzepten.

„Ich bleibe, wer ich bin“, sagte Royal nach ihrer triumphalen Investitur zur Kandidatin durch die PS-Mitglieder Ende November. Das konnte man als Drohung oder als Versprechen aufnehmen, bisher hat sie ihren Stil jedenfalls nicht geändert. „Gemeinsam werden wir etwas Außergewöhnliches aufbauen“, fügte sie hinzu. Es ist die Übersetzung ihres Schlagworts der „partizipativen Demokratie“: Gemeint ist eine Dezentralisierung des Staates, eine neue Verteilung der Aufgaben. Die Politik soll sich durch eine Verbesserungen der Lebensverhältnisse stetig beweisen – ob dies die Behandlung von Kranken betriff, den Umweltschutz oder die Schulausbildung. Ihre dogmatische Unschärfe hat Royal den Spitznamen „Prinzessin der Mehrdeutigkeiten“ eingebracht. Für Alfred Grosser ist ihre Offenheit Trumpf: „Sie wird sicher keinen Verbündeten ablehnen, weil er ’rechts’ steht. Und sie hat auf die Parteien links von der ihren mehr Anziehungskraft.“

Wem es gelingt, sein Lager über die Anhängerschaft der eigenen Partei hinaus hinter sich zu sammeln, der hat im Mai die besten Chancen. Die Zersplitterung der Linken mit einer Vielzahl von Bewerbern bescherte 2002 dem PS-Kandidaten und damaligen Premierminister Lionel Jospin das Aus in der ersten Runde, Jean-Marie Le Pen, Chef der rechtsextremen „Nationalen Front“ (FN), zog in die Stichwahl gegen Amtsinhaber Chirac.

Diesmal ist es Sarkozy, der Gefahr laufen könnte, in die Le-Pen-Falle zu tappen. „Wenn er sich weiter nur mit ’law and order’ identifiziert, wird er in der Mitte verlieren“, prognostiziert Grosser. Rechts außen ist Le Pen bestens aufgestellt. Als „gezähmter“ Extremist schwimmt der 78-Jährige auf einer Popularitätswelle, laut Umfragen könnte er mit bis zu 20 Prozent der Stimmen rechnen.

Um sich aus der Zwickmühle zu befreien, hat Sarkozy inzwischen Kreide gefressen. Der „Brandstifter“ vergangener Tage, der die Unruhe-Vorstädte vor einem Jahr „mit dem Kärcher vom Ungeziefer reinigen“ wollte, erklärte sich Anfang Dezember zum „leidenschaftlich gemäßigten“ Republikaner. Vor allem aber hat Sarkozy die Schwachen der Gesellschaft für sich entdeckt. Er werde dafür sorgen, dass niemand mehr auf der Straße übernachten und an den Folgen der Kälte sterben müsse, verkündete der Innenminister vor Weihnachten. Kellnern und Köchen verspricht er massive Steuersenkungen für den Gastronomiebereich. Der deklarierte Anhänger von US-Präsident George W. Bush denunziert plötzlich einen „Kapitalismus ohne Moral“, zeigt sich beunruhigt über zu geringe Renten und wettert gegen den starken Euro, der den französischen Export einschnüre. Vom Liberalen habe sich Sarkozy plötzlich zum Staatsinterventionisten gewandelt, resümiert der konservative Pariser „Figaro“ leicht irritiert. Es könnte wohl ein Einfluss der „Volksmutti“ Ségolène“ sein.

  • VIENNA.AT
  • Chronik
  • Frankreich vor einem Superwahljahr
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen