BAWAG-Geiselnehmer bekommt Prozess
Zu diesem Ergebnis kommt der psychiatrische Sachverständige Helmut Pockberger in seinem ausführlichen, im Gerichtsauftrag erstellten Gutachten.
Pockberger bescheinigt dem Geiselnehmer zwar psychopathologische Persönlichkeitszüge, die von Affektinstabilität, Impulsivität und emotionaler Unsicherheit geprägt sind. Er hat allerdings keine Zweifel daran, dass keine Schuldausschließungsgründe vorliegen.
Damit steht fest, dass sich Günter B. in absehbarer Zeit vor Gericht verantworten wird müssen. Noch ist allerdings nicht klar, ob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Freiheitsentziehung erheben oder den 39-Jährigen als Geiselgangster im Sinne des Paragrafen 102 Strafgesetzbuch (StGB) vor Geschworene bringen wird, was einen höheren Strafrahmen zur Folge hätte. Die gerichtliche Voruntersuchung ist noch nicht abgeschlossen, U-Richterin Gerda Krausam muss nach Ostern noch einige Zeugen einvernehmen.
Das psychiatrische Gutachten gibt Aufschlüsse über die Persönlichkeit des 39-jährigen Günter B. In seinem Werdegang imponieren Suchtverhalten und Impulsivität. Neben einem symptomatischen Alkoholabusus ist im Besonderen die Spielsucht zu erwähnen, die ihn immer wieder in finanzielle Bedrängnis brachte, heißt es in der Expertise über den BAWAG-Geiselnehmer.
Ausgerechnet ein Toto-Zwölfer dürfte dem Mann in gewisser Weise zum Verhängnis geworden sein. 1997 gewann Günter B. mit einem Schlag umgerechnet 37.000 Euro. Der plötzliche Reichtum bewog ihn dazu, verstärkt seiner Spielleidenschaft nachzugehen. Das Geld war binnen kürzester Zeit verjubelt. Der 39-Jährige flüchtete sich in den Alkohol bzw. in Bordell-Besuche, wo er laut Gutachten seine Frustration über sein Leben und seine Einsamkeit zu kompensieren suchte.
Wie der Psychiater ausführt, habe Günter B. nie die Fähigkeit erlernt, soziale Kontakte zu knüpfen oder über seine Probleme zu reden. Sein einziger Ansprechpartner war sein Bruder, mit dem er auch während der Geiselnahme ausgiebig telefoniert hatte. Diese Gespräche wurden von der Polizei mitgeschnitten und finden sich mittlerweile in Form von Protokollen im Gerichtsakt.
Aus diesen lässt sich ablesen, dass es in der Bank-Filiale keineswegs so ungefährlich zuging wie von manchen Medien dargestellt wurde: Auf die nachdrückliche Aufforderung seines Bruders, sich endlich zu ergeben, bekam Günter B. regelrecht einen Wutanfall und kündigte an, es werde vielmehr Rambazamba geben.
Für den Psychiater steht das, was sich am 27. Februar in der BAWAG-Filiale abspielte, im Zusammenhang mit selbstmörderischen Gedanken des 39-Jährigen, der in der Vergangenheit zwei Mal versucht haben soll, sich das Leben zu nehmen. An jenem Morgen sei bei B. nach einer ausgedehnten Zechtour durch mehrere Bordelle, bei der zahllose doppelte Schnäpse und mehrere Krügel Bier vernichtet wurden, eine Spannungssituation entstanden. Er sei vor der – für Außenstehende nicht unbedingt nachvollziehbaren – Wahl gestanden, sich umzubringen oder einen Überfall zu begehen.
Zwischen Selbstmord und Banküberfall wählte er das zweitere, hält der Sachverständige fest, wobei es dem Mann nicht aufs Geld, sondern primär darauf angekommen sei, mit den Angestellten zu reden. Dies sei aus der vorangegangenen kriminellen Erfahrung zu verstehen, erläutert Pockberger: Günter B. weist zahlreiche, teilweise massive Vorstrafen auf. Für einen bewaffneten Raubüberfall auf ein Pelzgeschäft hat er beispielsweise vier Jahre abgesessen, wie bei der Anklagebehörde am Freitag auf APA-Anfrage bestätigt wurde.