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Merkel will Beschluss notfalls ohne Polen fällen

Brüssel - Die amtierende EU-Ratspräsidentin Angela Merkel will den Staats- und Regierungschefs vorschlagen, den Rahmen für einen neuen EU-Vertrag notfalls ohne Polen zu verabschieden.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft will nun ein gemeinsames Mandat der anderen 26 Mitgliedstaaten für eine Regierungskonferenz erhalten, wie Merkels Sprecher Ulrich Wilhelm am Freitag in Brüssel am Rande des EU-Gipfels sagte. Die deutsche Kanzlerin reagierte damit offensichtlich auf die neueste Veto-Drohung Polens vom Abend.

Polen hätte dann „die Chance, sich in der Regierungskonferenz im Herbst dem europäischen Konsens anzuschließen“, sagte Merkels Sprecher weiter. Die Präsidentschaft habe sich „wiederholt intensiv um die polnischen Anliegen bemüht und zuletzt einen weit auf Polen zugehenden Vorschlag gemacht“. Dieser sei aber von Warschau abgelehnt worden. In dieser Situation werde Merkel vorschlagen, „Europa nicht auf der Stelle treten zu lassen“. „Wir werden deshalb versuchen, ein starkes Signal der Handlungsfähigkeit dieses Gipfels zu erreichen“, betonte Ulrich Wilhelm.

Polen hatte zuvor den Kompromissvorschlag der Ratspräsidentschaft abgelehnt und vor einem Scheitern des Gipfels gewarnt. „Wir stehen vor einer Wand“, sagte Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski im polnischen Fernsehen. Er verkündete von Warschau aus die Absage an den Kompromissvorschlag, während sein Bruder, Präsident Lech Kaczynski, in Brüssel mit Merkel beriet.

Zuvor hatte es bereits nach einer Einigung mit Polen ausgesehen. Dabei waren mehrere Varianten im Gespräch. Der kolportierte Kompromiss hätte vorgesehen, dass Polen eine Verlängerung des Nizza-Abstimmungsmodus – der Warschau im Vergleich zu Deutschland bevorzugt – bis 2014 erhalten sollte, und gleichzeitig würde das Land mehr Europaabgeordnete bekommen. Eine anderer Gedanke lautete, dass sogar das von Polen ursprünglich geforderte Quadratwurzel-Modell „noch nicht ganz gestorben“ sei.

In Ratskreisen hieß es, dass der polnische Premier Jaroslaw Kaczynski unzufrieden mit seinem Zwillingsbruder, dem Staatspräsidenten, sei, weil dieser beim EU-Gipfel zu sehr nachgegeben habe. Der in Brüssel befindliche Staatschef sollte wieder „auf Linie“ gebracht werden.

Eine Einigung erzielte der Gipfel über die künftigen Strukturen der gemeinsamen Außenpolitik. Großbritannien habe seine Widerstände aufgegeben. Den Angaben von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (S) zufolge soll der Chef der EU-Außenpolitik den Titel „Hoher Repräsentant der Europäischen Union“ tragen und nicht wie im Verfassungsentwurf vorgesehen den eines „Außenministers“. Demnach würde der „Hohe Repräsentant“ allen Treffen der EU-Außenminister vorsitzen und in Personalunion Vizepräsident der EU-Kommission sein, wie im Verfassungsvertrag vorgesehen war.

Zudem konnten Bedenken Frankreichs gegen ein klares Bekenntnis der EU zum freien globalisierten Wettbewerb zerstreut werden. „Beim Mittagessen haben die Staats- und Regierungschefs Formulierungen gefunden, mit denen das Problem gelöst ist“, sagte Merkels Sprecher Wilhelm. Danach solle der neue EU-Grundlagenvertrag rechtliche Sicherheit dafür bieten, dass die EU bei Kartell-Verstößen regulierend eingreifen kann, sagten Diplomaten.

Merkel strebte beim letzten Gipfel unter deutscher Präsidentschaft eine Einigung auf die zentralen Punkte des Vertrags an. Bis zur Europawahl 2009 soll der Vertrag von allen Mitgliedstaaten in Kraft getreten sein. Für den Fall eines Scheiterns haben hochrangige EU-Vertreter vor einer Spaltung der Union gewarnt.

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