Eingesperrt werden sie in derart überbelegten Haftanstalten, dass die Gefangenen sich mit dem Schlafen abwechseln müssen. Parschutkin hat die Schattenseiten seiner Profession am eigenen Leib erfahren. Drei Jahre wartete der 47-Jährige im berüchtigten Moskauer Gefängnis Butyrka auf seinen Prozess. Die Vorwürfe gegen ihn wurden schließlich fallen gelassen. Sie hingen mit einem Fall zusammen: Parschutkin hatte ein Pärchen gegen die russischen Adoptionsbehörden verteidigt.
Der Anwalt und zahlreiche seiner Kollegen werfen der Regierung nicht nur die Manipulation des Justizsystems vor, um Opponenten zu bekämpfen. Parschutkin sagt, die Justiz verfolge die Verteidiger der Regierungsgegner. Jeder Anwalt, der sich nicht auf einen Handel mit den Behörden einlässt, wird auf die eine oder andere Weise verfolgt.
Der jüngste Fall: Der Staatssicherheitsdienst beschuldigte Boris Kusnezow der Preisgabe von Staatsgeheimnissen. Der Jurist verteidigte einen Abgeordneten, gegen den Korruptionsvorwürfe erhoben wurden. Kusnezow sagt, er sei Opfer einer behördlichen Intrige und verließ das Land.
Der Fall steht nicht alleine: Dutzende weitere Anwälte wurden verfolgt oder mussten um ihr Recht auf Berufsausübung kämpfen. Anwälte werden als Freiwild gesehen, klagt Robert Amsterdam, der nicht mehr nach Russland einreisen darf, weil er zum Verteidigerteam des inhaftierten Großindustriellen und Regierungskritikers Michail Chodorkowski gehörte. Alle Berufsgruppen, die unabhängig und außerhalb der Kontrolle der Behörden seien, würden in Präsident Wladimir Putins Russland als Gefahr gesehen.
Die russische Staatsanwaltschaft nahm trotz einer schriftlichen Bitte der Nachrichtenagentur Reuters nicht zu den Vorwürfen der Juristen Stellung.
Einige von den Behörden erhobene Bezichtigungen gegen Anwälte erscheinen äußerst dünn: Xenja Kostromina war eine Verteidigerin des wegen Mordes angeklagten Sicherheitschefs von Chodorkowski. Sie verpasste mit zwei Kollegen eine Anhörung: Die zwei Anwälte waren krank, Kostromina musste zeitgleich vor dem Verfassungsgericht erscheinen. Obwohl sie entschuldigt waren, beantragte ein Richter, dass den Anwälten Berufsverbot erteilt wird. Der Antrag wurde schließlich abgelehnt. Es scheint mir, sie wollten uns einschüchtern, sagt die Anwältin.
Ähnlich erging es Karina Moskalenko. Die Staatsanwaltschaft wollten ihr die Zulassung entziehen, weil sie keinen Antrag eingereicht hatte, um Chodorkowski in seinem sibirischen Gefängnis zu besuchen. Dabei hätten sich andere Anwälte um den Besuch gekümmert, während sie selbst Chodorkowskis Antrag für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorbereitet habe, sagt Moskalenko. Das ist ein Spiel, um ihm seine Anwälte vorzuenthalten. Moskalenko wirft den Behörden vor, ein zentrales Grundprinzip des Justizsystem zu untergraben: das Recht der Angeklagten auf eine kompetente Verteidigung. Es sei weltweit bekannt, dass Anwälte bei der Ausübung ihres Berufs nicht unter Druck gesetzt werden dürfen, sagt Moskalenko. Dieser Grundsatz gelte heutzutage offenbar nicht bei den russischen Behörden.
Andere Juristen sind der Ansicht, dass der Umgang mit Anwälten dem russischen Justizsystem schon geschadet hat. Wenn ein Anwalt Angst vor Unannehmlichkeiten hat, dann schraubt er seine Verteidigung herunter, sagt Parschutkin. Das sehen wir überall in Russland. Es gibt nur sehr wenige Anwälte, die dazu bereit sind, ihren Mandanten eine angemessene Verteidigung zu bieten.