Doch nun könnte diese Spezialität aus der Normandie in Gefahr sein. Denn zwei Großproduzenten fürchten, die Bakterien in der Rohmilch könnten eine Gesundheitsgefahr sein – und sind auf behandelte Milch umgestiegen. Rohmilch-Verfechter fürchten um die Esskultur des Landes.
Der Konzern Lactalis und die Isigny-Kooperative standen bisher für 90 Prozent des Rohmilch-Camemberts aus der Normandie. Mit dem Ausstieg aus der Rohmilch-Produktion verzichteten die Anbieter freiwillig auf das begehrte Gütesiegel Appellation dOrigine Controlee (AOC) – in der französischen Käse-Geschichte ein absolutes Novum.
Die Hersteller verweisen darauf, dass sich bei Rohmilch-Käse eine Bedrohung durch Bakterien in der Milch nicht absolut ausschließen lässt. Das war eine äußerst schwierige Entscheidung, sagt Lactalis-Sprecher Luc Morelon. Aber die Konsumentensicherheit steht über allem. Das Unternehmen fürchte einen Unfall, der schnell das Aus für den Käse bedeuten könne.
Rohmilch-Verfechter werfen Lactalis und Isigny dagegen vor, aus rein wirtschaftlichen Motiven zu handeln. Sie sprechen über angebliche Gesundheitsgefahren, aber sie wissen, dass das Blödsinn ist, sagt Gerard Roger, Präsident des Komitees zur Verteidigung echten Camemberts. Der wirkliche Grund ist, dass sie die Produktion erhöhen wollen, und dass ist mit Rohmilch unmöglich. Die Massenproduktion habe Grenzen, sagt Roger, und Camembert sei nicht nur ein Lebensmittel, sondern ein Teil unserer Kultur.
Für Käse-Liebhaber liegen geschmacklich Welten zwischen echtem Rohmilch-Camembert und Massenware mit pasteurisierter Milch. Es gibt keinen Camembert, wenn er nicht mit unbehandelter Milch gemacht wird, sagt Roger. Sie gibt ihm seine Reichhaltigkeit, den Geschmack, die Ursprünglichkeit. Wenn Sie Milch erhitzen, haben Sie noch immer Käse, aber keinen Camembert.
Noch vor einem halben Jahrhundert gab es zahlreiche Rohmilch-Käse-Produzenten in der Normandie. Heute sind es nur noch fünf, nachdem Lactalis nach und nach die Konkurrenz aus kleinen Familienbetrieben aufgekauft hatte. 2006 stellte der Konzern noch 8000 Tonnen echten Camembert her. Nun wird die Milch für den Käse erhitzt – wenn auch weniger stark als bei der normalen Pasteurisierung. Der Konkurrent Isigny zog nach und unterzieht die Milch einer Mikrofilterung, die nach den AOC-Regeln gleichfalls verboten ist. In diesem Jahr wird die gesamte Rohmilch-Camembert-Produktion deshalb von 12.500 auf 4000 Tonnen fallen.
Die Großunternehmen haben ein feindliches Übernahmeangebot für Camembert vorgelegt, sagt Bertrand Gillot, dessen eigene Käse-Marke Reo seit 80 Jahren im Dorf Lessay hergestellt wird. Sie haben Maschinen eingeführt, mit denen sie den Weichkäse ausgießen, während wir mit der Hand gehaltene Tiegel benutzen, fügt er hinzu. Jetzt stellen sie auf behandelte Milch um. Gillot kennt die Gefahr, die Rohmilch-Käse in sich trägt: Vor zwei Jahren musste er seine Produktion stoppen, als Erkrankungen von Kindern mit einem schädlichen Bakterium in Verbindung gebracht wurden. Seitdem hat er die Gesundheitskontrollen verschärft und betont, Camembert-Essen sei weniger gefährlich sei als Autofahren.
Seine Hauptsorge ist, dass Lactalis beim Nationalen Institut für Qualität und Herkunftsbescheinigungen (INAO) eine Lockerung der Produktionsregeln erreichen könnte, um für Käse mit erhitzter oder gefilterter Milch doch wieder das AOC-Siegel zu bekommen. Dann ist Rohmilch tot, sagt er. Beim Kauf könnten Verbraucher nicht mehr zwischen echtem und Industrie-Camembert unterscheiden. Und wenn wir Rohmilch verlieren, wird sie nie wiederkommen. Die Kultur, das Wissen, die Methoden – alles wird auf ewig verschwinden.