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„Romeo und Julia“ als Kammerspiel der Gefühle

"Guten Abend" ruft ein im barocken Anzug gekleideter Herr mit langen weißen Haaren und weiß geschminkten Gesicht von einer metallenen Brüstung den nach oben blickenden Zuschauern zu.

Bald hat sich eine illustre Gesellschaft über den Köpfen der rund 180 Besucher im Thalia in der Gaußstraße, die teilweise an Tischen sitzen, versammelt. Sie rekeln sich am Geländer, necken sich gegenseitig und verharren in demonstrativen Posen. Plötzlich ruft einer „Jetzt fangen wir an!“ und mit ihren Schlagstöcken verursachen die Mitglieder der Familien Capulet und Montague einen ohrenbetäubenden Lärm auf dem Geländer.

Oberspielleiter Andreas Kriegenburg hat am Mittwochabend zur Spielzeiteröffnung am „Theater des Jahres 2007“ Shakespeares „Romeo und Julia“ als sinnliches Spektakel und Kammerspiel der großen Gefühle inszeniert – am Ende gab es stürmischen Applaus. Die erste halbe Stunde der dreistündigen Aufführung spielt im Foyer der kleinen Thalia-Bühne, die Zuschauer sind mitten drin im Maskenball der Familie Capulet, auf den sich Romeo heimlich geschlichen hat. Sie werden Zeugen, wie sich der hübsche Jüngling unsterblich in die Tochter der Erzfeinde seiner Familie verliebt, die schüchtern und unbedarft „Somewhere over the Rainbow“ vor sich hinträllert.

Die Gegensätze sind offenkundig:©Auf der einen Seite die Mitglieder der verfeindeten Familien, die mit Pistolen aufeinander zielen und sich später in der Studiobühne unversöhnlich gegenüberstehen. Auf der anderen Seite die sich innig Liebenden im weißen Kleid und weißen Anzug, die Gesichter ungeschminkt (Kostüme: Andrea Schraad). Kriegenburg findet einfache, aber unvergessliche Bilder für die unvereinbaren Welten: So ist der Boden der Studiobühne mit Patronenhülsen übersäet, das unausweichliche Ende steht somit von Anfang an fest. Eine in der Mitte des Raumes frei schwebende hölzerne Wand mit den Namen der beiden Liebenden vereint und trennt das Paar, das wegen äußerer Umstände nicht zusammen sein darf.

Die beiden jungen Schauspieler Daniel Hoevels (Romeo) und Olivia Gräser (Julia) zeigen eine beeindruckende Leistung. Beide sind so unbeschwert, enthusiastisch und leidenschaftlich, wie eine junge Liebe nur sein kann. Gleichzeitig stürzt sie der Verlauf der Geschichte nach dem Mord an Mercutio und der anschließenden Rache Romeos in eine solche Verzweiflung, dass es kaum auszuhalten ist. Gleich vier Mal tragen sie die berühmten Verse nach der gemeinsam verbrachten Nacht („Es war die Nachtigall und nicht die Lerche“) vor – und bei jedem Vortrag scheint die Verzweiflung der beiden über die Ausweglosigkeit ihrer Situation noch zuzunehmen.

Aber auch die anderen Schauspieler überzeugen auf ganzer Linie und unterstreichen nochmals, warum das Thalia zum „Theater des Jahres“ gewählt wurde. Allen voran Ole Lagerpusch als Mercutio und Paula Dombrowski als Benvolio, die für die heiteren Momente des Abends sorgen sowie Judith Hofmann als Amme und Helmut Mooshammer als Bruder Lorenzo. Bei solch starken Schauspielern kann die berühmteste Liebesgeschichte der Welt für sich stehen und braucht keinerlei aktuelle Bezüge. Insofern hat der Regisseur recht, wenn er sagt: „Abgesehen davon ist ’Romeo und Julia’ inzwischen so sehr Teil unserer Sehnsuchtskultur, dass es für mich völlig unnötig, wenn nicht kontraproduktiv wäre, das irgendwohin zu übersetzen.“ – Es reicht die Macht der Worte Shakespeares.

Sebastian Hartmann will heute, Donnerstag, Abend bei der ersten Saison-Premiere des Burgtheaters „mit dem falschen Pathos aufräumen“, den seiner Meinung nach Shakespeares „Romeo und Julia“ umweht. In Wien werden Sven Dolinski als „Romeo“ und die Halbschwester des Regisseurs, Julia Hartmann als „Julia“ zu sehen sein.

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