Einem Bericht des US-finanzierten Senders Free Asia (RFA) zufolge wurden am Freitag bei Auseinandersetzungen zwischen den chinesischen Sicherheitskräften und Tibetern in der Hauptstadt Lhasa mindestens zwei Menschen getötet. Die chinesischen Truppen hätten auf die Menschen geschossen und auch Tränengas eingesetzt. In anderen Berichten wurden auch noch höhere Opferzahlen genannt.
Das Oberhaupt der Tibeter im Exil, der Dalai Lama, bezeichnete die Zusammenstöße als Zeichen einer “tief verwurzelten Abneigung gegen das tibetische Volk” durch China. Er sei über die Situation zutiefst besorgt, “die sich in Tibet aus friedlichen Demonstrationen entwickelt hat”, sagte er in seinem indischen Exil in Dharamsala. Der Dalai Lama rief die chinesische Führung auf, die Gewaltanwendung gegen das tibetische Volk zu beenden. “Ich appelliere auch an meine tibetischen Landsleute, nicht zur Gewalt zu greifen”, fügte er hinzu.
Die EU-Staats- und Regierungschefs riefen China mit Blick auf die Proteste in Tibet zur Zurückhaltung auf. Der EU-Gipfel habe einen entsprechenden Text der slowenischen Ratspräsidentschaft gebilligt, sagte der französische Außenminister Bernard Kouchner zum Abschluss des Treffens am Freitag. “Wir haben sehr deutlich gefordert, dass die Respektierung der Menschenrechte gewährleistet sein muss. Die Verurteilung ist deutlich und kommt vom gesamten Europäischen Rat und den 27 Mitgliedstaaten”, fügte Kouchner hinzu. Der EU-Gipfel habe an die chinesische Führung appelliert, das Gespräch mit den Vertretern der Tibeter zu suchen und die Streitigkeiten friedlich beizulegen, sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
Auch US-Präsident George W. Bush setzt sich für einen Dialog zwischen der chinesischen Führung und dem Dalai Lama ein. Darauf verwies der stellvertretende Sprecher des Weißen Hauses, Tony Fratto, am Freitag in Washington. Das Weiße Haus erwarte von Peking, die Kultur der Tibeter und die Unterschiedlichkeit der Volksgruppen in der chinesischen Gesellschaft zu respektieren.
Demonstranten hatten zuvor in Geschäfte und Polizeiautos in Brand gesetzt, wie die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua meldete. Die Proteste gegen die seit mehr als einem halben Jahrhundert währende chinesische Herrschaft sind die schwersten seit fast 20 Jahren.
Ein Bewohner von Lhasa, der seinen Namen nicht genannt wissen wollte, erklärte, über Lhasa sei eine Ausgangssperre verhängt worden. Militärpolizisten hätten alle Straßen in die Innenstadt gesperrt, fast alle Geschäfte seien geschlossen. Eine Touristin, die ebenfalls nicht genannt werden wollte, sagte, Soldaten seien in der Innenstadt. Alle großen Klöster seien geschlossen, überall seien Polizisten. Ein Mitarbeiter eines Reisebüros in Lhasa sagte, Ausländern seien Reisen nach Tibet inzwischen verboten.
Buddhistische Mönche traten in den Hungerstreik, meldete RFA. Dem Sender zufolge befanden sich zwei Mönche des Klosters Drepung bei Lhasa nach einem Selbstmordversuch in kritischem Zustand. “Es gibt viele Mönche, die sich aus Verzweiflung Gewalt antun”, zitierte der Sender einen Gewährsmann. Eine Augenzeugin berichtete RFA von hunderten Demonstranten, darunter Mönche und Zivilpersonen.
Peking ersuchte unterdessen die nepalesische Regierung, Klettertouren auf den Mount Everest bis zum 10. Mai zu verbieten. Von der chinesischen Seite sind Besteigungen des höchsten Berges der Erde bereits bis dahin verboten – offiziell aus Umweltschutzgründen. Als wahrer Grund wird aber die Absicht Pekings vermutet, die Fackel mit dem olympischen Feuer auch auf den Mount Everest tragen zu lassen – und tibetische Proteste bei diesem Ereignis von vornherein zu verhindern. In Nepal leben viele Exiltibeter.