Die offizielle Zahl der Toten bei dem antichinesischen Aufstand seit Freitag wurde inzwischen von den Behörden auf 16 erhöht. Wer sich freiwillig ergebe, werde im Rahmen des Gesetzes mit Milde behandelt, sagte Champa Phuntsok, ein ethnischer Tibeter, der von Peking als Statthalter eingesetzt wurde. Exil-Tibeter äußerten die Befürchtung, dass es nach Ablauf des Ultimatums zu einer Militäroffensive kommen werde.
Die Protestbewegung blieb nicht auf die tibetische Hauptstadt Lhasa beschränkt. Augenzeugen berichteten von einem Truppeneinmarsch in der Nachbarprovinz Sichuan. Dort war es am Sonntag zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen, bei denen nach unbestätigten Berichten bis zu acht Menschen getötet wurden. In Maqu in der Provinz Gansu kam es am Montag zu neuen Zusammenstößen zwischen tausenden Demonstranten und der Polizei. Nach Behördenangaben wurden mindestens zehn Polizisten verletzt. In Tongren in der Provinz Qinghai bezogen Bereitschaftspolizisten Stellung vor einem buddhistischen Kloster. Trotz eines Versammlungsverbots zogen Dutzende Mönche auf einen Hügel, wo sie Räucherwerk anzündeten. Dies sei Ausdruck des gewaltfreien Protests, sagte ein Teilnehmer. Das tibetische Siedlungsgebiet ist nahezu doppelt so groß wie die 1965 von den Kommunisten errichtete autonome Region Tibet; weite Teile des alten Tibet wurden damals den Provinzen Sichuan und Qinghai angegliedert.
Nach Angaben des tibetischen Exilparlaments in Indien vom Montag sind bei den jüngsten antichinesischen Protesten in Tibet mehrere hundert Menschen ums Leben gekommen. Peking hat die Völkermord-Vorwürfe des Dalai Lama wegen der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste zurückgewiesen. Eine “Herrschaft des Terrors in Tibet” sei “absoluter Unsinn”, sagte ein führendes Mitglied des von Peking kontrollierten Regionalparlaments in Tibet, Legqog, laut der amtlichen Pekinger Nachrichtenagentur Xinhua. Die chinesischen Sicherheitskräfte haben bei Razzien in der tibetischen Hauptstadt nach exiltibetischen Angaben Hunderte von Tibetern festgenommen. Wie das exiltibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) berichtete, gibt es solche Razzien seit Sonntag. Die Sicherheitskräfte gingen von Haus zu Haus und nähmen alle verdächtigen Tibeter, insbesondere junge Leute fest. Dabei würden die Tibeter auch geschlagen.
“Ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt” gebe es derzeit einen “kulturellen Völkermord” in Tibet, sagte der von der Pekinger Führung für die Unruhen verantwortlich gemachte 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, am Sonntag am Sitz der Exilregierung in Dharamsala in Nordindien. Der Friedensnobelpreisträger drückte in einem BBC-Interview die Befürchtung aus, dass es zu noch mehr Blutvergießen kommen werde. Peking verlasse sich auf Gewalt, um Ruhe durchzusetzen. Zugleich sprach er sich gegen einen Boykott der Olympischen Spiele in Peking aus. Chinas kommunistische “Volksbefreiungsarmee” war 1950 in Tibet einmarschiert. Im März 1959, nach der blutigen Niederschlagung einer Volkserhebung, waren der Dalai Lama und die tibetische Regierung mit mehr als 100.000 Landsleuten nach Indien geflohen. Der Dalai Lama hatte Peking wiederholt schwere Menschenrechtsverstöße in seiner Heimat vorgeworfen, unter anderem Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen, sowie “kulturellen Völkermord” durch massiven Bevölkerungstransfer.
Mehrere ausländische Journalisten wurden aus den tibetischen Teilen der Provinzen Gansu und Qinghai ausgewiesen, unter ihnen auch Reporter der US-Nachrichtenagentur Associated Press. Die Polizei begründete die Entscheidung mit der Sicherheit der Journalisten. Auch in Nepal gab es am Montag eine Demonstration gegen die Fremdherrschaft in Tibet. Dabei kam es ebenfalls zu gewaltsamen Zusammenstößen. Die Polizei ging mit Bambusstöcken gegen die etwa 100 Demonstranten vor, unter ihnen auch buddhistische Mönche. Etwa dreißig Personen wurden verletzt.