Das seit seiner Flucht im März 1959 in Indien im Exil lebende Oberhaupt der Tibeter hat seine Landsleute zu Zurückhaltung aufgerufen. Falls die Gewalt außer Kontrolle gerate, hätte er nur die Wahl zurückzutreten, sagte der 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, am Dienstag in Dharamsala.
Der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao hatte zuvor die “Clique” des Dalai Lama für die vor über einer Woche ausgebrochenen Unruhen verantwortlich gemacht, die inzwischen auch auf andere Provinzen – Sichuan, Qinghai, Gansu – übergegriffen haben. Die Unruhen hätten schwere Verluste an Menschenleben und Eigentum verursacht, sagte Wen am Dienstag in Peking. Der Führer des Tibetischen Jugendkongresses, Tsewang Rigzin, griff unterdessen den Dalai Lama wegen dessen Verzichts auf einen Aufruf zum Olympiaboykott an und forderte die Tibeter auf, ihre Proteste fortzusetzen.
Im Jahr 2002 hatte der Dalai Lama angekündigt, dass er nach seinem Tod nicht im besetzten Tibet oder einem anderen Gebiet unter chinesischer Herrschaft wiedergeboren wird. Wenn Tibet zu seinen Lebzeiten nicht befreit werde, finde seine Wiedergeburt in einem anderen Land statt, das frei sei. Er wolle die Wiederholung der Vorkommnisse im Fall des Pantschen Lama vermeiden. Peking hatte 1989 den als Reinkarnation des verstorbenen 10. Pantschen Lama anerkannten Knaben Gedhun Choekyi Nyima in Gewahrsam genommen und einen Gegen-Pantschen-Lama bestimmt.
Die Proteste in der tibetischen Hauptstadt Lhasa begannen am 10. März, dem 49. Jahrestag des von der chinesischen Armee blutig niedergeschlagenen Aufstandes der tibetischen Bevölkerung. Der Dalai Lama wird als Wiedergeburt des Boddhisattva Avalokiteshvara, der Gottheit des unermesslichen Mitgefühls, verehrt und war auch weltlicher Herrscher Tibets, das von 1912 bis 1950 faktisch unabhängig war. Bis zur Auffindung der Wiedergeburt eines Dalai Lama durch die dafür zuständigen Mönche können Jahre vergehen.