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Pressestimmen zu Inzest-Fall in Amstetten

Nicht nur in Österreich sorgt der Inzest-Fall in Amstetten für Aufsehen. Internationale Tageszeitungen beschäftigen sich am Dienstag intensiv mit dem Fall in Niederösterreich.

“Abendzeitung” (München):

“Keines der normalen Erklärungsmuster passt auf diesen Fall. Weder scheint der Täter psychisch krank zu sein, noch ist auf den ersten Blick eine psychische Deformation zu erkennen. Handelt es sich um einen Mann und seine Familie, die in kleinbürgerlicher Dumpfheit innerlich verrohen? Alles ist Spekulation und alles ist möglich. An Tagen wie diesen glaubt niemand mehr daran, dass es Normen gibt, die das Leben zusammenhalten. Natürlich, die Mitbewohner hätten etwas bemerken müssen, klar, wir alle müssen wachsamer sein und sensibel reagieren, wenn ungewöhnliche Dinge passieren. Ist es das, was man aus dem Fall Amstetten lernen kann? Es wäre wenigstens etwas.”

“Der neue Tag” (Weiden):

“Die Gier nach der Sensation ist grenzenlos und lässt sich nur noch steigern, indem der Täter zur Bestie und sein Lügengebäude zum teuflischen Plan überhöht wird. Amstetten steht für Kaspar Hauser mal vier, ein Doppelleben, das selbst den Roman über Dr. Jekylll und Mr. Hyde in den Schatten stellt. Das sollte an Schrecken reichen.”

“Augsburger Allgemeine”:

Die anhaltende Grausamkeit, mit der der Vater seine eigenen Kinder in solch ein unmenschliches Leben zwang, ist einzigartig in der Kriminalgeschichte. Die Motive des Täters zu durchschauen, ist deshalb interessant und wichtig so können die Ermittler in Zukunft vielleicht ähnliche Fälle verhindern. Denn niemand kann ausschließen, dass im Keller irgendeines anderen Hauses Ähnliches passiert jetzt, genau in diesem Moment. Aber wir alle können vielleicht helfen, solches Leid zu verhindern: Indem wir hinschauen und nachfragen, wo ein Verdacht besteht.

“Coburger Tageblatt”:

“Weder die Ehefrau noch jemand in der Nachbarschaft soll sagen, nichts bemerkt zu haben. Alle diejenigen in Amstetten, die Ungereimtheiten nicht gemeldet und seltsame Vorgänge ignoriert haben, müssen sich den Vorwurf einer Mitschuld gefallen lassen. Gleichgültigkeit und Desinteresse sind der Nährboden dafür, dass derartige Verbrechen unentdeckt bleiben. Amstetten ist ein Appell an uns alle: Lieber zweimal hin- als einmal wegschauen.”

“tageszeitung” (Berlin):

“Wissend also, dass aus dem Fall gesellschaftlich nichts zu lernen ist, versuchen die Medien – wir Medien -, dem Interesse an ihm gerecht zu werden. Wir begeben uns damit auf vermintes Gelände. Echtes Mitgefühl und Voyeurismus verlangen zunächst nach den gleichen Quellen; was also bedienen wir? Wie können wir uns sicher sein, dass nicht derselbe Leser die Verbrechen des Josef F. (…) studiert, der sich ansonsten an Pornos Marke ‘Gequält im Frauenknast’ ergötzt? (…) Die Verantwortung der Medien liegt darin, wenigstens jetzt die Würde der Opfer zu wahren. Natascha Kampusch kämpft – recht erfolgreich – bis heute gegen die Medien um dieses Recht. Dass sie überhaupt kämpfen muss, ist beschämend. Denn der Grat zwischen legitimem Interesse und entwürdigender Belästigung mag schmal sein – zu verfehlen ist er eigentlich nicht. Wenn man denn will.”

“Kölner Stadt-Anzeiger”:

“Der heute 73-Jährige baute – so sagt er selbst in seinem Geständnis – eine perfekte Fassade auf. Und die Nachbarn? Hatte sie eine Chance, das Grauen zu bemerken, zu verhindern? Oder müssen wir in einer offenen Gesellschaft hinnehmen, dass solche Verbrechen nebenan geschehen? Das Entsetzen nach dem Ereignis wirft die Frage auf, wie viel Anteilnahme am Leben der anderen notwendig und akzeptabel ist, ohne deren privaten Raum zu verletzen. Wenn aber jemand seine Verbrechen mit hoher krimineller Energie tarnt, wird auch ein größeres Interesse für den Nachbarn diese nicht verhindern.”

“Braunschweiger Zeitung”:

“Es hat in der Vergangenheit immer wieder Verbrechen gegeben, die in ihrer Gnadenlosigkeit aufschrecken lassen und die die Menschen nicht nur verunsichern, sondern verwunden. Denn es ist ja ein Mensch, der sich dieser Taten schuldig gemacht hat und der die Fragen aufwirft: Wer ist dieser Mensch und wer ist der Mensch? Es macht im Augenblick keinen Sinn, über die Machtphantasien oder Dominanzwünsche des Josef F. zu spekulieren. Die Sprache der Fachleute wirkt in ihrer analytischen Abstraktheit seltsam kalt und unbeteiligt. Das Martyrium, das Josef F. angerichtet hat, übersteigt das Vermögen rationaler Erklärungen.”

“Westfälische Nachrichten” (Münster):

“Es bleiben Fragen über Fragen: Konnte oder wollte keiner wissen, dass der 73-Jährige jahrelang in direkter Nähe zu anderen Menschen seine Tochter besuchte, quälte, versorgte, ihren Müll wegbrachte? Hörte keiner im Keller Lärm? Inzest ist ein so großes Tabu, dass man vielleicht gerne glaubt, so etwas könne nur in düsteren, vorzivilisierten Gesellschaften geschehen. Ein Teufelskreis aus Schuldgefühlen, Schweigen und Wegsehen ermöglicht es auch heute noch Tätern, ihre kranke Herrschaft des Grauens zu erhalten. Das Erschütternde: Hätte Kommissar Zufall nicht eine Rolle gespielt das Martyrium wäre weitergegangen. Nun ist es zwar beendet, doch vor den Opfern liegt noch ein langer Weg, ihr Leben am Abgrund zu verarbeiten sie brauchen endlich Ruhe.”

“Rhein-Zeitung” (Koblenz):

“Es sieht so aus, als müssten wir unsere Vorstellung von menschlicher Bosheit Jahr für Jahr erweitern. Nichts scheint mehr sicher, die Welt wird brutaler, die Menschen immer schlechter? Das sind nur Selbst-Beschwichtigungen. Wir sollten aus Hitlers Auschwitz, Stalins Gulags und Pol Pots ‘Killing Fields’ viel über die dunkle Seite der menschlichen Psyche gelernt haben. ‘Menschen sind zu Unglaublichem fähig – im Guten wie im Bösen’, sagt der Kriminalpsychologe Rudolf Egg zum niederösterreichischen Opa-Monster. Den Täter skizziert er als einen extremen Machtmenschen, der seine Familie als totalen Besitz betrachtet und seine Ansprüche mit Gewalt und Einschüchterungen durchsetzt, bis der letzte Widerstand gebrochen ist.”

“La Provence” (Marseille, Frankreich):

“Abgesehen von der Empörung ist da diese unaussprechliche Angst vor der Perversität eines Mannes, der sich seine Familie nach seinen Bedürfnissen, zu seinen Diensten gemacht hat. Um seine sexuellen Triebe zu befriedigen, hat er seine Tochter und die ganze Familie unterworfen. Dies ist das Perverse: Mit unmoralischen und grausamen Handlungen seine eigenen Bedürfnisse stillen – und dabei die Realität verdrehen. (…) Der österreichische Inzest-Vater hat seiner Tochter und den gemeinsamen Kindern sicher vorgemacht, dass sie eine richtige Familie bildeten und sich sehr liebten.”

“Tages-Anzeiger” (Zürich, Schweiz):

“Im erzkatholischen Niederösterreich sind Worte wie Zivilgesellschaft und Eigenverantwortung noch immer fremd. Lehrer, Priester, Bürgermeister sind unangefochtene Autoritäten, der Landeshauptmann regiert wie ein feudaler Fürst. In einer solchen Gesellschaft fragt man nicht nach. Wenn die Obrigkeit nicht eingreift, wird alles schon seine Ordnung haben. Ein Ingenieur ist hier noch eine Respektsperson. Zwei Enkelkinder (und vermutliche Kinder) von F. gingen in Amstetten zur Schule. In welchen Verhältnissen sie genau aufwuchsen, wollten die Lehrer nicht wissen. Es waren halt ruhige Kinder. Da fragt man nicht nach. In Niederösterreich wird Autorität noch groß geschrieben, hinterfragen klein.”

“The Times” (London, Großbritannien):

“Es gibt Unterschiede zwischen Achtung des Privatlebens und bloßer Gleichgültigkeit. In Großbritannien ist ein Radfahrer von einem Autofahrer umgefahren worden und starb auf der Straße. Autofahrer fuhren um ihn herum statt anzuhalten, um ihm zu helfen. Das Herdentier Mensch zeigt selten das gleiche Mitgefühl oder Verantwortungsbewusstsein wie es eine Einzelperson tut. Die Österreicher rufen nun nach Gesetzen, doch neue Gesetze werden kaum neue Grausamkeiten verhindern. Wirkungsvoller ist das Entsetzen, das der Skandal in Amstetten hervorgerufen hat. Eine der Lehren aus dieser Tragödie ist, dass eine Gemeinschaft ohne wirkliche zwischenmenschliche Kommunikation keine Gemeinschaft ist.”

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