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Island auf der Suche nach Wegen aus der Finanzkrise und sich selbst

Die Nordatlantikinsel Island ist in den vergangenen Monaten als erstes Opfer gewissermaßen zu einem Symbol der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise geworden.

Der spektakuläre Zusammenbruch des erst vor sieben Jahren privatisierten Bankenwesens, Bürgerproteste gegen die politische Elite in Form der “Kochtopfrevolution”, das zähe Ringen um internationale Finanzhilfe sowie der Sturz der bisherigen Regierung erschienen vielen als Menetekel für auch anderswo bevorstehende Zustände.

In Ländern wie Lettland oder Ungarn vollzog sich seither tatsächlich eine ähnliche Entwicklung. In Island selbst ist man indes bemüht, möglichst glimpflich und rasch aus der Misere zu gelangen. Die seit Ende Jänner eingesetzte rot-grüne Übergangsregierung unter Ministerpräsidentin Johanna Sigurdardottir verfügte rasch etliche Maßnahmen, die es Haushalten ermöglicht, durch Stundungen aus der Kreditfalle zu entkommen und gleichzeitig die Banken durch Abhebelimits und Devisenrestriktionen am Leben zu erhalten.

Der nach der Absetzung der bisherigen Zentralbankführung interimistisch zum Notenbankchef bestellte norwegische Unternehmensberater Svein Harald Öygard betonte unlängst, es müsse Islands vornehmlichstes Ziel sein, zum “Symbol für eine rasche wirtschaftliche Genesung” zu werden. Erreichen will Öygard dies einerseits durch Stabilisierung der arg gebeutelten Isländischen Krone und der Inflation (zuletzt immer noch bei über 15 Prozent) sowie den Wiederaufbau des Finanzsystems.

Die Belastung für den Staatshaushalt ist enorm und trotz internationalen Kredit-Zusagen von über 10 Mrd. Euro nicht lange tragbar. Das überdehnte Finanzvolumen der drei größten isländischen Banken Kaupthing, Landsbanki und Glitnir betrug zum Zeitpunkt ihres Zusammenbruchs im Herbst 2009 Schätzungen zufolge das zehn- bis 13-fache des Bruttoinlandsprodukts der Nordatlantik-Insel.

Wie es dazu kommen konnte, ist Gegenstand einer auf Jahre hinweg angelegten Untersuchung unter Leitung der norwegisch-französischen Finanzbetrugsbekämpferin Eva Joly, die für ihre Arbeit als Ermittlerin im französischen Elf-Aquitaine-Skandal bekannt ist.

Schon lange vor dem Bankencrash hatten Analysten und Medien vor der Intransparenz des isländischen “Wirtschaftswunders” gewarnt. Investoren wie Jon Asgeir Johannesson oder Björgolfur Thor Björgolfsson und dessen Vater Björgolfur Gudmunsson kauften in den vergangenen Jahren vor allem in Großbritannien und Skandinavien ganze Handelsketten auf und investierten in großem Stil in Fluggesellschaften und im Medienbereich. Mittlerweile sind deren Gesellschaften und Holdings großteils pleite, die Beteiligungen zum Teil wieder verkauft. Wo das Geld geblieben ist, für dessen Fehlen die isländische Bevölkerung nun bezahlen muss, ist vorerst ein Rätsel.

 

Die Tageszeitung “Morgunbladid” fand im März heraus, dass auf dem zu den Britischen Jungferninseln gehörenden Karibik-Eiland Tortola nicht weniger als 136 Briefkastenfirmen auf Isländer angemeldet waren. Laut einem Bericht in der aktuellen Ausgabe der englischsprachigen Monatszeitung “Reykjavik Grapevine” trägt jeder der gut 300.000 Isländer eine Auslandsschuld von über 70.000 Euro mit sich. Viele Haushalte müssen Kredite in der Höhe von mehreren Hunderttausend Euro zurückzahlen, mit denen sie in den vergangenen Jahren Autos, Wohnungen, Kindererziehung und Ausbildung finanziert haben.

Das Problem ist, dass die meisten Kredite ganz oder teilweise in Fremdwährungen, vor allem in Euro gezeichnet sind. Über kurz oder lang halten daher Politiker und Experten die Einführung des Euro für unerlässlich. Laut der Wirtschaftsprofessorin Katrin Olafsdottir von der Uni Reykjavik ist die Isländische Krone bereits jetzt keine funktionierende Währung mehr.

Wenn man von der theoretischen Möglichkeit einer einseitigen Euro-Implementierung absieht, müsste Island zuerst der EU beitreten. Dies jedoch ist – voraussichtlich auch nach den Wahlen am kommenden Samstag (25.4.) – in keiner Regierungskonstellation durchsetzbar. Zu sehr orientiert sich das Land noch an seinem traditionellen Haupterwerbszweig, der Fischerei. Die Isländer fürchten einen Totalausverkauf ihrer Fischereirechte an Brüssel.

Ohne Euro, bei weiter niedrigen Aluminiumpreisen – in Island entstand im vergangenen Jahrzehnt eine vom ökologischen Standpunkt höchst umstrittene Aluminiumindustrie mit mehreren Schmelzwerken – bleibt den Isländern vorerst wohl wirklich nur das, was eine isländische Journalistin der “Iceland Review” vergangenen Herbst so formulierte: “Wir müssen eben alle wieder lernen, Fische zu fangen und auszunehmen”. Angesichts der immer weiter fortschreitenden Überfischung der Weltmeere erscheint jedoch auch das über kurz oder lang als keine gute Überlebensstrategie.

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